Ostern im Veneto oder wo ist denn nun das Paradies? 🇮🇹

Es ist Ostern und man fährt weg. Irgendwo hin. Wir nutzen diese Tage um unsere italienischen Freunde zu besuchen. Logistisch ist es ein wenig komplizierter weil einer aus Berlin anreißt und einer aus Marseille. So muss es preiswert sein und ungefähr zur gleichen Zeit. In Frankreich ist die zentralistisch orientierte Zeit noch lange nicht vorbei. So absurd es klingt, man muss über Paris.

Glücklicherweise kennen wir den Venezianischen Flughafen schon ein wenig und so sind größere Probleme nicht zu erwarten.

In Venedig angekommen geht GG erst mal zum Frisör. Na ja, ich grübele noch darüber nach wie ich das einstufen soll. Ich erreiche die Stadt ca. eine Stunde später.

20160325 01 VenedigGG ist wohl grad unterm Fön und hört ihr Handy nicht. Egal. Ich habe noch 55 Minuten welche ich für einen Spaziergang durch die Stadt verwende.

20160325 07 VenedigVenedig ist eine der Städte, die ich sehr genießen kann. Man muss nur runter vom Pfad nach S. Marco via Rialto. Da findest du noch etwas von dem Entspannenden. Einsame Kanäle mit langsam fließendem Wasser. Leute kommen und gehen die verwinkelten Gassen entlang. Tauben gurren zu den Tönen welche die Stöckelschuhe auf dem alten Pflaster hinterlassen.

20160329 01 VenedigDie Zeit verfliegt und wieder mal muss ich schnellen Schrittes zum Bahnhof eilen. GG wartet schon.

Angekommen in Este schlendern wir erst einmal durch die Stadt.

20160325 10 EsteAn der Bausubstanz hat sich nicht viel verändert seit unserem letzten Besuch. Alles ist nur ein paar Jahre älter geworden. Ein wenig mehr Farbe ist vergraut. Ein wenig Putz ist abgefallen. Der Kirchturm steht genau so schief. Hier ist das Meiste so alt, dass diese Änderungen nicht erwähnenswert sind. Geändert hat sich allerdings die Ladenstruktur. Einige kleine Läden in denen das dort herrschende Handwerk schon über mehrere Generationen überliefert worden ist, haben es nicht geschafft, dieses in die Neuzeit zu bringen und das dort angewandte Wissen versieget nun zwischen antiken Steinen. Große Ketten füllen den dadurch gewonnen Raum zwischen diesen Wänden um uns mit aufgewärmten Backrohlingen und Textilien, genäht in Bangladesch zu locken, welche nur marginal günstiger sind, als die hier vormals angebotene Ware. Die Individualität, das Familiäre, die Gemütlichkeit ist weg. Kein Verkäufer der deinem Großvater schon das Gleiche versucht hat zu verkaufen. Keiner der mit deiner Mutter zur Schule ging. Dazu noch das Internet und die Schnäppchen-Jäger. Dieses wird der endgültige Tot der kleinen Läden und somit der gemütlichen Innenstädte.

Sonnabend:

Am Vormittag gehen wir über den Markt. GG liebt es zwischen an Bügeln aufgehängten Kleidern zu wandeln. Mal das eine oder Andere aus der der Reihe zu zutteln und sich über den Schnitt oder die Farbe zu freuen.

20160326 06 Este

Wie immer in Italien ist es nicht möglich zu verhungern. Müsst ihr einfach mal probieren. Geht dahin wo die Italiener sind und werft mal in die Runde: »morto di fame«. Sicher werdet ihr irgendwas bekommen. Ich kann wie immer nicht nein sagen ob der leckeren Speisen die da aufgetragen werden, wenn es um die Frage eines kleinen Nachschlages geht.

So gefüllt geht es an den Strand. Dieser ist am südlichen Ende der Lagune in einer Stadt namens Chioggia. Die Strände in Italien sind speziell und jeder soll selbst entscheiden, ob es sein Ding ist. Die Spezialität liegt nicht am Wasser. Auch liegt es nicht an der Landschaft. Es liegt daran was sie daraus gemacht haben. Fangen wir der Reihe nach an. Eine italienische Stadt, die der Landkarte nach lieget am Meere, ist geografisch schon dort, aber nicht gefühlt. Die ´Uferpromenade´ vor der ersten Häuserreihe ist eine Straße, wie in jeder anderen Stadt. Es fühlt sich nichts nach mehr Meer an. Viel Verkehr und gegenüber ein hoher Zaun welcher noch mit dem hier allgegenwärtigen Sichtschutz aus grüner Tanne-Nachbildungen oder senkrechtem Kunstrasen, verziert wird. Dieser Zaun nun haust den Strand. Du musst bezahlen, um ihn betreten zu können. Hast du etwas wiederwillig diese Hürde genommen, gehst du auf einem Pfade der gesäumt ist mit kleinen Kabinen, welche von etwas betuchten Einwohnern gelegentlich genutzt werden. Immer wieder Zäune, die durch den Winterwind aufgewirbelten Sand in ihrer Tanne-Verkleidung gefangen halten. Die Schwäre ihrer Last zieht sie zu Boden und von ihrer einstigen Spannkraft ist nichts zu spüren. Wieder ein paar Kabinen und noch ein paar Zäune. In der Vorsaison ist hier kein Mensch. Bis auf son paar Hanseln wie uns. Was passiert wohl, wenn hier Leiber dicht an dicht liegen. Wir passieren den letzten Zaun vor dem Meer und erblicken – ein dickes schwarzes Rohr. Wunderschön wie sich in dessen Windschatten der Verpackungsrest der vergangenen Jahreszeit tummelt. Bunte Farben von zerbrochener Plastik zwischen verdorrten Resten vereinzelter Palmen. Wir gehen es an und ersteigen das Rohr. Da ist es. Das Meer. Nicht gerade azzurro, dafür aber gesäumt mit einem Teppich aus Algen, die versuchen die westirische Küste en Miniatur nachzubilden.

20160326 27 Chioggia Ein paar Kinder rennen den Strand entlang zwischen angeschwemmten Fischernetzen und Resten von Fischerbooten die den letzten Sturm nicht überlebten.

20160326 34 ChioggiaWelch ein Idyll. Die Sonne versucht das Ihre um es im schönsten Licht erscheinen zu lassen.

20160326 32 ChioggiaDer Wind bläst die gesunden Aerosole durch deine abgasverwöhnte Lunge, das einem fast schwindlig wird. Ja das Meer weckt und stillt alle Träume.

20160326 36 Chioggia
Der Zusammenhang »posizione sociale – il colore« wird auch hier überdeutlich aufgezeigt.

Eine lange Mole geht hinaus aus dem seichten Wasser um der Lagune Abfluss in definierte Bahn zu lenken.

Wir spazieren auf dieser entlang bis zu dem Punkte wo unsere Spezies einige Probleme bekommt, da das nun folgende Element nicht das Unsrige ist. Gesäumt wird diese idyllische Bild von mechanischen Fischfangnetzen welche gar lieblich riechend wie auch schwingend in Winde hängen. Zwischen diesen, ein paar auf Stelzen gebaute Lokale. Das find ich an sich nicht Übel. Des Öfteren haben diese einen Fisch auf der Tafel, welcher sich nicht nur durch Frische sondern auch niedrigen Preis auszeichnet. Hier bewegt mich der arg liebliche Duft der unter diesen Lokalen aufgestellten Tonnen dazu, recht schnell reiß aus zu nehmen.

Ein Bäcker fast in erster Reihe, also hinter diesem ganzen Zaun und Kabinen-Labyrinth, lädt zum Kaffee ein. Das ist wieder etwas, was ich sehr genieße in Italien. Du stellst dich an die Bar und verlangst einen Espresso. Dieser kommt so unkompliziert und schnell wie es sein Name vermuten lässt, für kleines Geld. Komplizierter wird es beim Gebäck. Nicht der Kauf ansich, sondern die Qual der Wahl. Im Endeffekt ist es egal. Alles Gekaufte war lecker.

Wir verabschieden uns von einem Teil der Familie die noch unbedingt eine Sandburg bauen muss und fahren nach Hause.

20160326 42 ChioggiaDort, wie sollte es anders sein, wird erst mal was Leckeres gekocht.

Sonntag:

Ostersonntag. Tja. Was fang ich damit an. Ich denke an meinen kleinen Jesus, welcher noch immer in Salta (Argentinien) hockt und nicht den Weg zu mir findet. Ich glaub nicht, dass er heute kommt. Das mit dem Propheten und dem Berg muss ich mir noch mal überlegen. Möglicherweise gibt es ja doch noch einen Weg, dass wir zusammen kommen.

20160327 02 EsteAlso was machen wir. Wir fahren nach Arqua Petrarca. Dieses ist eine kleine gemütliche Stadt in den euganischen Hügeln, welche Quellen mit magischem Heilwasser offeriert. Ich bin hier nicht zum ersten Mal.Kurz und gut. Wir waren nicht die Einzigen, aber es war alles in einem gemütlichen Rahmen.

Montag:

Colazione in Italien. Für alle die kein italienisch verstehen, so wie ich, bedeutet das Frühstück. Eines der ersten Wörter, die ich mit Bildern füllte. Eine Kollektion hört sich nach einem üppigen Mahl an. Da ich sehr gerne frühstücke – kein Problem. In Wahrheit ist es eher einfach. Kaffee, Claro, und meistens ein Kuchen. Panettone oder der Gleichen. Du schlürfst deinen Kaffee, zerteilst wahllos diesen großen Kuchen und verteilst dessen Krümel gleichmäßig auf der Tischdecke. Daran muss ich mich erst einmal gewöhnen. Bei uns zu Hause, wenn da mal eine Tischdecke liegen sollte, versuchst du diese mit keinerlei Essbaren zu bedecken.

Due passi

Wörtlich übersetzt – zwei Schritte. Real ist es ein kleine Spaziergang um den Marktplatz oder sonst wo hin.

Wir besuchen la Mama. Dort wird gerade ein Baum gefällt. Ich bin dabei. Das ist so ein Männer Ding, welches nicht so vieler Worte bedarf. Das ganze Wochenende versuche ich die ganze Zeit  irgendwas zu verstehen. Hier wird dir die Axt in die Hand gedrückt. Der Finger zeigt auf den Baum. Ein Einzig Wort fliegt durch die Luft: » Vuoi?« Ich nicke und zieh los. Der Baum ist meiner.

20160328 03 Este

Dienstag:

GG ist ein wenig krank und hat somit keine Lust aufzustehen. La Mama bringt uns zur Statione. Sie plant dafür 45 Minuten ein. Ich Google mal den Weg zu Fuß. 20 Minuten. Mio Dio.

Totaly zu früh stehen wir im Bahnhof. Hier ist nichts. Kein kleines Café. Kein Angestellter, Kein Platz zum Sitzen. Die einzige Bank haben ein paar Leute okkupiert, welche uns gleichsam störrisch ruhig hier verweilen. Es ertönt eine Durchsage in dem sonst so zeitlosen Raum des Bahnhofes. Mein erster Gedanke – das ist nicht das Lied vom Tot, was meint, hier wird noch irgendwas passieren. Aber wann. Der Milchkannenexpress hat eine viertel Stunde Verspätung. Wahrscheinlich ist Francesco mit seinem Trecker im Acker stecken geblieben und war somit nicht rechtzeitig an der Strecke.

Wir fragen la Mama ob wir nach Monselice fahren. Dort müssten wir umsteigen und wir könnten den Zug noch erreichen. La Mama sagt -subito- und rennt los. Auf dem Parkplatz – na ja auf dem unbefestigten Stück Straße vorm Bahnhof – springt la Mama ins Auto startet den Motor und ab geht´s. Ich hatte gerade erst die Koffer hinten rein geworfen und musste nun aufspringen um den Anschluss nicht zu verpassen. Mit offener Tür durch Este, die raushängenden Teile meines Körpers langsam ins Wageninnere befördernd.

Wir erreichen den Bahnhof mit qualmenden Reifen. Unser Anschlusszug hat eine viertel Stunde Verspätung, laut Tafel. So gehen wir ins Café und ordern einen Tee. Ich schau aus dem Fenster. Ein Zug nach Venedig fährt ein. Was ist das denn? Selbst für unseren vermutlich Verspätung habenden zu früh. Wir sind hier in Italien und es ist alles möglich. Der Tee steht unangerührt auf dem Tisch. Zwei hetzten den Sottopassaggio entlang und entern den Zug. Hat der nun Verspätung oder nicht. Nein er fährt jetzt gleich.

Venedig im Nebel. Ne mal echt. Man kann kaum weiter sehen als einen Kirschkern spucken. Wohin also?

20160329 00 VenedigWir tingeln ein wenig herum. Ein paar Kanäle entlang. Viele alte Palazzi bewundernd.

20160329 04 VenedigVor einem steht ein Schild. Jemand ruft über den Platz: »come un Museo« Tja – da wäre ich nun gar nicht drauf gekommen. Es ist ein uraltes Haus einer Bruderschaft oder Handwerkerinnung, welche sich bis heute gehalten hat. [Scuola Grande di San Rocco] Die Wände sind verziert mit geschnitzten Figuren, die sicherlich einige Handwerke darstellen.

20160329 11 VenedigAnsonsten alles voller Bilder von Tintoretto.

20160329 12 VenedigEs ist echt beeindruckend. GG läuft durch die Räume und fragt: »Wo ist denn das Paradies?«

20160329 18 VenedigWenn ich das nur wüsste. Wir gehen dahin, gehen dorthin. Das Paradies finden wir nicht. Jedenfalls nicht hier. Langsam keimt in mir der Wunsch zu erfahren, warum GG ausgerechnet hier danach suchte. Mehr oder weniger zielstrebig. Ah – irgendetwas stand in dem Flyer. Ich bin beruhigt wie auch irritiert. Sollten wir jetzt danach suchen? Warum? Ich weiß, es ist nicht weit.

20160329 33 VenedigDie Sonne kommt raus. Mein erstes leckeres Eis, sitzend auf einem alten Sims, den Kanale im Blick. So liebe ich es. GG lässt plötzlich vernehmen, dass wir uns etwas sputen sollten. Ich schaue auf meine Uhr. Tranquillo. Der Bus fährt erst in einer Stunde. Merde ich habe meine Uhr nicht auf Sommerzeit eingestellt.

20160329 49 VenedigWie immer hetzten wir treppauf treppab mit klackernden Rädern des Koffers zum Busbahnhof.

20160329 39 VenedigGlücklicherweise fährt sofort ein Bus. Angekommen im Flughafen und durch die fremdbestimmte Kontrolle, ob du auch ja alle Belongings together hast, bleibt nur noch Zeit für einen Kuss. Schon geht es rein in den Flieger. Alitalia hatte auch schon bessere Tage. Keine Ragazze mehr als Personal und das Sandwich ist ein altes pappiges kaltes Brötchen, made by BASF.

Berlin begrüßt mich mit Regen. Die Busfahrt lässt mich zu Hause fühlen. Mit Volldampf um jede Kurve und an jeder Ampel eine Vollbremsung. Neu Zugereiste werden bei dieser Prozedur mit Alt-Berlinern vermischt. Ist das nun Integration oder Assimilierung?

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