Der heutige Tag beginn so wie der Gestrige auch war. Wolken ziehen übers Land und entladen sich ihrer Fracht. Nur im Hotelzimmer zu hocken, entspricht nicht ganz unseren Vorstellungen. Obwohl – nach dem vielen Erlebten wäre schon ein wenig Ruhe durchaus angebracht. Aber so? Na ja – wir suchen uns ein Museum heraus.
Schon aus dem Uber-Taxi herauszukommen und rein ins Museum erfordert eine gewisse Seals-Ausbildung. Die Straßen sind wie Flüsse. Wir besuchen das Chilean National Museum of Fine Arts. Da erwartet man schon etwas. Wir kommen in das Museum und das Erste, was ich überall sehe, sind Eimer, welche das Regenwasser, das durch das offensichtlich undichte Dach tropft, auffangen.
Die Figuren hätte ich irgendwo anders erwartet. Klar können solche auch hier sein. Viele der Künstler haben in Europa studiert. So wird es dazu gekommen sein, die Figuren in diesem Stil zu erschaffen. Ich dachte allerdings, diese Zeit sei an diesem Kontinent vorübergegangen. Auch frage ich mich, wieso denn der in Stein gehauene Mann solch ein Gesicht bekommen, bei dem ihm in den Armen liegendem Weibe, welches durchaus nicht zu verachten sei, sollte man nur die Äußerlichkeiten betrachten, was bei einer Figur aus Stein ja durchaus angebracht.
Die ganze Ausstellung ist im Umbruch. So kann ich auch nicht mit Gewissheit behaupten zu wissen, ob diese zur Ausstellung gehöreret oder halt nicht.
Die meisten Räume sind geschlossen. Wie auch dieser. Nur ein kurzer Blick ward uns vergönnt.
Im Keller sind Räume aus LKW-Planen erstellt. In diesen Kuben laufen Filme, welche nicht gerade die höchsten Ansprüche der Ästhetik erfüllen. Irgendwelche Flüssigkeiten laufen in den Mund und werden von dort auf unappetitliche Weise wieder herausbefördert.
Der Künstler, Leppe, hat an der XII Biennale in Paris inoffiziell teilgenommen. Das damalige chilenische Militärregime hatte nicht so wirklich ein Interesse daran. So ganz hab ich nicht nachvollziehen können, was nun eigentlich gesagt werden sollte. Ging es um Homosexualität, da in dem Singen, Tanzen, Essen, Krabbeln und Erbrechen irgendwie die Transformation vom Männlichen zum Weiblichen versteckt sein soll.
Ein weiterer Raum ist gefüllt mit Porträts von Fotografen.
In einem Part der Ausstellung geht es darum, wie der Geist der Vorfahren in einem weiterlebt, oder seine Schatten auf dein Leben ausstrahlt. PAULA COÑOEPAN zeigt hier, dass das Zeugnis, als Quelle und als Grund, das Gedächtnis wieder aufzubauen, eine Konstante zeitgenössischer Mapuche-Künstler sei. »In diesem Werk durchdringt Coñoepan in seinem Körper das Bildnis und die Phantasmagorie der Figur seines Vaters, durch den Eindruck der Lichtstrahlen auf seiner Haut aus einem Mutterbild, das uns an jene Dimension erinnert, die sich trennt und verschwindet, aber Tag für Tag auch mit uns zusammenlebt. «
Und dann der Raum, in dem die Frau in der Kunst eine Rolle spielt. Mich dünkt, Kunst ohne Frauen ist kaum auszumachen, wie auch in Lateinamerika kein Lied ohne das Wort corazón vorkommt. Höchstwahrscheinlich geht es um weibliche Künstler oder auch ihre Betrachtung. Weshalb nun ausgerechnet eine nackte Frau dafür auf den Wüstenboden pinkelt – gibt es da nichts Schöneres.
Zum Teil sind einfach Bilder aus Magazinen an die Wand gepimpt. Dafür, dass das ein bekanntes wichtiges Museum ist, hängt hier relativ wenig. Wie ich aus der Beschreibung zu entnehmen versucht habe, bemühen sich lateinamerikanische Künstler nicht nur die Perspektive des Kontinents zu vertreten, sondern auch anderer kultureller Bereiche, von Regionen, die weit entfernt sind. Sie beteiligen sich politisch daran, soziale Situationen anzuprangern oder nach gleichen Codes zu fragen. Doch mir muss dieses ja verborgen bleiben, da ich nicht einer von Ihnen.
Noch während unseres Besuches verschwanden aus der Haupthalle einige Kunstwerke in Kartons. Wieso ist das Museum überhaupt geöffnet worden?
Wir ziehen etwas weiter in das Museum of Visual Arts.
Das stellt die 5 Kontinente dar. Sagt mir, welche und woran ihr das festmacht?
Eugenio Dittborn mit Flores und Resto.
Roberto Matta Utopia al Sol
Alejandro Quiroga Memoria de una revolution
Lateinamerika – wie kommt dieser Name zustande? Die alten Indigenen hatten damit sicher nichts am Hut. Und doch wird er benutzt auf globaler Ebene, weil dies der am meisten akzeptierte Name der betroffenen Nationen ist. Die Künstler waren schon seit der Kolonialzeit auf der Suche, eine angemessene Repräsentation des Kontinents zu finden. So finden sich auch die Widersprüche mit ihrer versuchten Lösung durch eine von vielen Revolutionen.
Santos Chavez
OK – die nächsten Kunstwerke lassen doch nur entfernt erahnen, was sie darstellen und was nicht. Sicher macht es Spaß. Irgendwie können wir uns beim Rätseln darauf verständigen, dass da wohl Persönlichkeiten mit einem gewissen Status werden abgebildet. Ich lese sinngemäß: »Diese Serie von großformatigen Holzschnitten zeigt hängende Figuren, die im weißen Raum schweben, Figuren, die so kategorisch, monumental und durchschlagend wie rätselhaft und suggestiv sind.« Was da noch alles steht, in der Erklärung, ist so mannigfaltig und so überhaupt nicht korrelierend mit den Werken, dass, meines Erachtens, selbst der Künstler beim Erschaffen nicht auf die Idee gekommen wäre, dieses einfließen lassen zu können. So hat sich, wie auch der Künstler, der, der diesen Text verfasste, wahnsinnig ausgetobt.
Für mich ja nicht so weit entfernt von dem gerade vorher gesehenen Werken. Doch was weiß ich schon. Ich bin nur der, der auszog, die Schönheit, die Faszination zu suchen, wie versteckt sie auch immer sein mag. Was sehe ich hier? Links so etwas wie Beine. Nicht wirklich anatomisch. Rechts sind die Hände markant und Köpfe. Die Neugier weckt es schon. Begeisterung für diese wahrscheinlich emblematischsten Werke von Eduardo Vilches muss ich erst versuchen zu entwickeln. »In Zeiten des Notfalls und der ständigen Gefahr entstanden, werden diese Bilder gleichzeitig als Selbstporträts des Künstlers und als kollektive Porträts konstruiert: eminent symmetrisch und frontal stellen diese Werke, so elegant, pragmatisch und präzise wie möglich, einige der tiefsten Problematiken des universellen menschlichen Zustands.« steht da auch sinngemäß. Ich verstehe, dass ich nichts verstehe. Nicht mal, wenn es so präzise wie hier dargestellt wurde. Der Künstler hat offensichtlich mit dem Werk gleichzeitig das Problem geschaffen wie auch die Problemlösung unmöglich. Klar!
Wir kommen aus dem Museum und das Wetter hat sich noch immer nicht für uns erbarmt. Wir beschließen, dass es somit gut ist. Nichts ist unbedingt mehr anzusehen. Nichts ist unbedingt zu tun. Santiago, wir lassen dich jetzt in Ruhe. Gleich nebenan ist das Wonderland Café. Drinnen ist es trocken, drinnen ist es warm, drinnen gibt es was zu essen. Wir sitzen genau neben einem Spiegel. Es ist der Spiegel, welcher den versteckten Raum verbirgt. Wir können einen Blick hineinwerfen. Sonst sind auch noch ein paar andere Plätze, wo du dich schön in Szene setzen kannst.
Das war’s nun wirklich. Bleibt nur noch der lange Weg nach Hause. 12 Stunden Flug bis Madrid und dann noch mal drei bis Berlin. Ein Zuckerschlecken ist es nicht und ich bin froh, wenn ich das hinter mir habe.
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