Hungrig wie die Wölfe fahren wir zu unserem Veranstaltungsort. Im Dunkeln schießen wir natürlich an der Straße vorbei. Wir sind da voller Vorfreude. Ich ein wenig skeptisch, mangels Sprachkenntnissen. Es wird schon gehen. Wir treffen eine viertel Stunde nach dem avisierten Start ein. Außer uns nur ca. 10 Leute da. Ich schaue über die Tische und ich denke, die haben ja wohl heute sehr viel zu tun. Wir werden empfangen und es wird unser Tisch gesucht. Dazu haben sie die Namen der Reservierenden auf die Tischdecke geschrieben. Der Meinige steht nur auf einem Tisch für vier, aber durchgestrichen. Es wird hinten nachgefragt. Das Ergebnis, wir setzen uns an den Tisch mit dem durchgestrichenen Namen. Dieses ist nun einer der Tische, wo schon Leute saßen. Die meisten anderen Tische sind längere Tafeln und momentan verwaist. Die Leute trudeln langsam ein. Wir werden gefragt, ob wir erst mal was zu trinken möchten. Mir ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, welche Konsequenzen es haben wird. Wir wählen ein kleines Bier. Nun ist es an uns, die Leute in ihrer Garderobe zu begutachten. Sie sind super herausgeputzt. Junge Mädchen stolpern in hohen Stöckelschuhen den Walk entlang. Die Figur ist auf diesem Breitengrad der Erde nicht ausschlaggebend für die Kleiderwahl. Auch etwas Breitere zwängen sich in Klamotten Größe 36. Der Saum endet oft kurz unter dem, was er bedecken solle. Ob jung, ob alt. Alles ist möglich. Ich möchte nun nicht damit sagen, dass es nicht viele sehr gut gekleidete Menschen gab. Die Kleiderwahl ist für uns etwas fremd. Es gab Pailletten, in Gold, Silber, blau und schwarz. Apropos Schwarz. Dieses war eindeutig die meistgewählte ‚Farbe‘. Es kamen aber auch traditionell indische Kleider vor. Natürlich auch einige in total grellen Farben und die seidigen Irrläufer verpackt wie in Bonbonpapier. Die Tische füllten sich mehr und mehr. Wo nehmen nur die ganzen Leute Platz. Auf der anderen Seite der Bar waren nochmals viele Tische aufgestellt. Mir kamen die ersten Zweifel, wie das wohl mit dem Essen klappen soll. Die rennen ja jetzt schon rum wie die aufgescheuchten Hühner, wobei noch nicht mal jeder einen Drink bekommen hat. Auch an den anderen Tischen wird der Zweifel immer gewahrer. Was macht man in der Not. Anpacken und sehen, was geht. Das heißt, die Gäste stellen um auf Self Service. Die Gäste gehen zum Ausschank und holen die Getränke selber. Die so etwas entlasteten Kellnerinnen haben nun die Möglichkeit mit dem Servieren des Essens zu beginnen. Es ist 22 Uhr und hunderte hungrige Mäuler warten. Tatsächlich startet der Serviervorgang nach kurzer Zeit. Vorbestellen konnte man Frutti di Mare oder Lamm. Kaum auf dem Tisch springen die Leute mit ihrem Teller auf und gehen zurück. Was ist das denn? Ist irgendwas mit dem Essen? GG – morto di fame. Ich hab meinem Körper im Stillen signalisiert, dass das mit Essen für dieses Jahr vorbei ist. (Wir haben den ganzen Tag gerade mal ein halbes Baguette zu zwei verspeist – in Vorfreude.) Mein Magen schaltet sofort auf Standby. Keine Aufregung, keine überflüssigen Bewegungen, kein Adrenalinausstoß. Wir haben keine Energie zu verschenken. Nun erfahre ich den Grund des Aufspringens, sobald serviert worden ist. Die Beilagen – Reis und Erbsenmus – sind nicht auf dem Teller und ein Jeder muss sich damit selbst versorgen. Welch ein Wahnwitz. Quer durch das Lokal laufen die Kennerinnen, und im Gegenstrom alle gerade Bedienten. Vor allem bei dieser sehr übersichtlichen Auswahl an Beilagen. Weiterhin erschließt sich mir nicht der Grund, warum die Kellnerinnen jeden Teller einzeln bringen. Sie sollten mal auf die Wiesn gehn. Da wird richtig gschafft und eine Menge Umsatz gemacht. Gegen 23 Uhr werden wir bedient. Nicht weil wir irgendwie an der imaginären Reihe dieses Durcheinanders wären, sondern weil GG langsam vom Stuhl sackte und um Hilfe bat. Das Essen hätte lecker sein können, wenn es auf einer Temperatur über lauwarm gewesen wäre. Uns ist alles egal. Wir holen unsere Beilagen und essen das kalte wie tote Getier. Die Zeit schreitet voran. Wir schauen uns um. Die Hälfte der Gäste ist noch am Hungern. Getränke technisch immer noch nicht über das kleine Bier hinaus. In der Annonce stand etwas von Champagner. Irrtümlicherweise nahmen wir an, dass dieser zum Beginn des neuen Jahres serviert werden würde. Kurz vor 0 Uhr wollten wir diesen Champagner nun haben und entschlossen, diesen uns selbst zu besorgen. Sie wollten uns eine Flasche verkaufen. 70€. Wir bestanden auf den Annoncierten. Ah – der wurde doch zur Begrüßung serviert. Da habt ihr doch ein Bier gewollt. Hä? Ich sitze hier 3 Stunden rum bei einem kleinen Bier und bekomme nicht mal einen Champagner. Wir bekommen ihn noch, wird uns versprochen. Ich möchte ihn gleich selber mitnehmen. Es ist 3 vor 12. „Er kommt sofort.“ Wir sollen zum Tisch gehen. Wir sitzen am Tisch und warten gespannt.
00:00:00 Uhr. – nix –
00:00:02 Uhr.
Die Musik aus der Box spielt weiter wie gewohnt. Serviert wird immer noch. Immer noch gehen die Gäste zum Beilagenbuffet. Immer noch gehen die Gäste selbst an die Schenke, um sich mit etwas zu trinken zu versorgen. Wir stoßen an mit einem Glas Wasser. Bonnee Anne. Langsam beginnen alle festzustellen, dass es schon 2016 ist. Das französisch typische Küsschenverteilen beginnt. 5 Minuten später spielen sie ein Neujahrslied. Die Champagnerflaschen einiger Gäste werden geöffnet, während einige noch ihr Essen serviert bekommen. 0:20. Wir fragen erneut nach unserem Bergrüßungschampagner. Auch für unsere Nachbarn. Er kommt nach 2 Minuten mit 2 Gläsern. Nach erneuten Intervenieren und weiteren 2 Minuten mit den offenen 2 Gläsern. Der Champagner ist süß wie Zuckerwasser. Es beginnt langsam die Servierung des Desserts. Viele junge Gäste lehne es ab, und so mach ich darauf aufmerksam, dass wir es nehmen. 2g Ananas, 2g Melone, 2g Banane und eine Schokocreme. Ok – alles, was wir bezahlt haben, ist verzehrt. Wir brechen auf. Mir ist lieber die Insel zu genießen am morgigen Tag, als noch länger hier rumzusitzen.
Wir ziehen los, als die Letzten ihre lauwarme brasilianische Languste serviert bekommen. Eine einsame Rakete steigt gen Himmel. Ein einsamer, lauter Böller. Wir stehen umarmt am Strand vor unserem Quartier und schauen in die Sterne. Was wird das neue Jahr wohl bringen? Ich weiß es nicht. Aber es ist gut.
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