Lettland 🇱🇻

GG singt nun schon seit ein paar Wochen mit in einem Chor. Jetzt planen sie gerade eine Fahrt zu einem Chorfestival nach Lettland. Ich möchte sie überraschen und dort bei einem Konzert einfach aufschlagen. So wende ich mich heimlich an den Chorleiter, um zu erfahren, wo sie den sein werden. Er schaut mich an und fragt, wann ich denn dort eintreffen zu gedenke. Nach Erläuterung meines Planes sagt er »Wir lassen dich vom Flughafen abholen, aber du musst mit singen!« Perfekt! Ich und singen. Auf einer Bühne vielleicht noch. Also vor Leuten. Scheint mir nicht wirklich attraktiv, sich hier total zum Löffel zu machen. So stimme ich zu.


Viel packe ich nicht ein. Bedacht auf die Sucht nach guten Kaffee nimmt die Hälfte meines Handgepäcks, die Espressomaschine ein. Welch ein Spaß bei der Gepäckkontrolle. Sie schauen auf das Bild und ein großer dunkler Gegenstand mit einem kleinen Haken an der Seite wird sichtbar. Na ja, so richtig vertrauenerweckend sieht es nicht aus. Schon werde ich aus der Schlange genommen und erst mal nach Sprengstoff untersucht. Jetzt ist es an mir zu erklären, was ich denn da so mit mir führe und warum. Ich erkläre die Wichtigkeit des Wohlbefindens meiner Partnerin, welches einen nicht unerheblichen Teil zu meinem Wohlbefinden beiträgt. Er versteht sofort und lässt mich passieren. Neben mir wollen sie einer Musikerin ihren Klarinettenreiniger wegnehmen.


Angekommen im Flughafen stehe ich nun etwas verlegen, bis jemand mit einem Schild auf mich zukommt. Wo fahren wir hin? Ich vermutete Riga, aber wir fahren aufs Land. Ich treffe auf den Rest des Chores, eigentlich meine ich den eigentlichen Chor in einer Unterkunft, die noch lange in meinem Gedächtnis nachhallen wird. Ich vermute, es war mal ein sowjetisches Landgastheim. Mehrere abgewrackte Baracken stehen hinter dem sich in alle Richtung neigenden quadratischen einheitsgrauen Betonwegplatten. Die Küche besteht aus einem Herd, welcher seine Funktion schon lange nicht mehr als ein solcher ausübt. Die Duschräume zeigen großflächig den Eisengehalt des örtlichen Wassers an den Fliesen. Ganz abgesehen davon, läuft bei den Frauen kein Warmwasser.Nun fragt aber bitte nicht, wem es obliegt, die Frauen bei ihrer täglich Pflege im Männerduschraum vor den weiteren Insassen dieses Etablissements zu beschützen.


Bewacht wird das ganze Ensemble von einer Matrone wie sie im Buche steht. Da sie um 22:00 ihre soz. gewerkschaftlich vereinbarte nächtliche Entspannung genießen möchte, wollte sie doch tatsächlich die Eingangstür versperren. Ich dachte an die Zeiten meiner Schulklassenreisen. Von der Anmut des Gebäudes erschlagen begannen wir zu singen und die Mitbringsel, welche eigentlich bestimmt für das lettische Volk, aufzuessen bzw. auszutrinken. Morgen muss sich hier was ändern!

Die nächsten Tage übernahm ich so ein wenig das, was die im Osten mit organisieren beschreiben. Bei jedem Laden wird etwas gekauft, in ansprechenden Mengen. Wer weiß … irgendwann kann man das bestimmt gebrauchen.

Unseren ersten Auftritt haben wir in einem Schulhof. Es gibt lauscherige Orte

Sigulda Turajda Festival

Am Morgen stellen wir fest, Frühstück ist nicht includet. So packt ein jeder, was er hat auf den Tisch und jeder bedient sich. Ich habe nichts außer eine Espressomaschine. So werde ich verpflichtet für alle einen Espresso zuzubereiten im Tausche gegen etwas zu essen. Der Osten ist hier noch nicht vergangen. Das habe ich sofort gespürt und meine inneren Instinkte sind geweckt.

Auf dem Weg in den Nationalpark stoppen wir an einem Lokal um zu essen. Das Wetter mach uns einen Strich durch die Rechnung.

Sigulda-Gauja-Nationalpark


Ganz am Ende der Wiese ist ein schöner von Bäumen eingerahmter kreisförmiger Platz. Als ich ihn entdeckt, scheint mir hier der richtige Ort. Kurze Zeit später gesellen sich ein paar Sänger zu mir und fangen an, sehr melancholisch zu singen. Es heißt ja auf jeden Letten kommen einige Lieder bei diesem sangeswütigem Volk. Hier höre ich nichts Fröhliches.
Langsam löst sich der Kreis und sie fangen an über die Wiese zu gehen. Überall haben sich Chöre versammelt. Oft tragen sie alte Trachten oder eventuell sind es auch bündische Kleider.
Immer deutlicher ist eine gewisse Richtungs-Tendenz. Alles bewegt sich tanzend und singend.

Bis daraus so etwas wie eine Wallfahrt wird.

Sie strömen in den großen Kessel. Singen und tanzen, bis dass die Nacht hereinbricht.

Riga

Riga in der Innenstadt – eine ziemlich autofreie kopfsteinpflasterlastige engassige alte Stadt. Eine große singende Prozession zieht heute durch die diese. Wir waren nicht angemeldet, wollten aber auch nicht unsingend den Tag verstreichen lassen. So stellten wir uns an den Rand und sangen Lieder, die uns gerade einfielen. Die Schweden waren schon ein wenig verwundert, als wir eines ihrer Volkslieder in ihrer Sprache anstimmten.

Am Abend sangen wir noch im Lido Keller.

Lustig fand ich auch die Idee mit dem fast endlosen Registrierpapier, auf welches jemand ein paar kluge Wörter in verschiedenen Sprachen schrieb. Das Band wurde am Anfang der Tische eingefädelt und ein jeder Anwesende musste es zu seinem Nachbarn weiterführen. Gleichzeitig war er verpflichtet, die Wörter laut vorzulesen. Ab und zu wiederholten sich die Wörter und es gab ein Gleichklang mit den Vorlesenden ein paar Tische weiter.

Am schönen Strand von Lettland geht die Sonne ganz langsam unter und so bietet sich dieser zu einem gemeinsamen abendlichen Singen geradezu an. Der auf uns hereinbrechende Regen tat dem keinen Abbruch dank längst verfallener sowjetischer Hochkulturbauten, welche immerhin noch ein dichtes Dach hatten.

Nun hatten wir noch einen Auftritt anberaumt in Jelgava. Eine große Kirche, mitten im Ort. Am Infoportal dieser sahen wir den Aushang, der uns ankündigte. Ich weiß echt nicht, wo die dieses Bild herhatten. Vor Jahrzehnten, als die klingende Brücke gegründet wurde und zum großen Teil aus mehr oder weniger rüstigen Rentnern bestand? Hier waren ein paar alte, gebrechliche Leute in Rollstühlen abgebildet. Ich vermute mal, dass keiner der Ortsansässigen sich je hinreißen lassen wird einer so angekündigte Gesellschaft aufzuwarten.  Die riesige Kirche war grad gefüllet mit uns und ein, zwei Verlaufenen. Unser Gastgeberchor sah die Misere und sie strömten aus, um ein paar Zuhörer zu finden. Zum einen kam der benachbarte Kindergarten geschlossen zu unserem Konzert. In die Annalen werden wir jedenfalls nur durch die Umstände eingehen.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*