Süd-Terrassien und JWD

Berlin Brandenburg

Eigentlich wäre ich jetzt verreist. Eigentlich bedeutet eigentlich, dass das nicht so gelaufen ist, wie geplant. Was ganz Klitzekleines kam dazwischen. Was macht man nun in der Zeit, wo man eigentlich neue Gegenden erkundet, Berge besteigt, Seen durchquert, Slot Canyons durch schlängelt? Balkonien ist das Reiseziel. Bei mir geht’s nach Süd-Terrassien. Am Beginn dieser Reise war es schon sehr schön. Du sitzt da und hast nichts weiter zu tun als dazusitzen. Für den einen mag das total entspannend wirken. Für mich war das harte Arbeit.

Die Blüten sind noch fest verschlossen.  Ich sitze und warte.

Kaum die Tage gespürt, stehen sie in voller Pracht. Kurze Zeit später ist alles vorbei. Was soll ich jetzt tun?

Schaum mal an, hier wächst was. Kann mich doch einfach davor setzen und schauen, was so passiert.

Bei jedem Einkaufsbummel rette ich Pflanzen, welche aus langfristigen Verträgen an die Lebensmitteldiscounter geliefert worden sind, dort aber keine freie Pflegekapazität vorfinden. So stehen sie da, bis dann der letzte mikroskopisch kleine Wasserrest durch ihre nun schon fest zu gepressten Spaltöffnungen verloren. Da sie nicht gelernt haben zu schreien, wie die unzähligen Prenzelberger Ökokinder, nehmen sie ihr Schicksal ruhig in Kauf, bis dann der Komposthaufen ruft. Ich finde das so gemein. Wie gehen wir nur mit den Pflanzen um? Nun zurück zu meinem Urlaubsdomizil. Ich betrachte die neuen Mitglieder meiner Familie. Kaum schickt die Sonne ein wärmendes Strählchen, so öffnen sie die Blüten. An kühlen Tagen etwas zaghaft. Gegen Abend wird wieder alles fein säuberlich verschlossen. Wie aufregend.

Nach so zwei, drei Tagen Beobachtung der Blütenöffnung entstand in mir so etwas wie Routine. Nicht, dass das Schauspiel weniger aufregend. Doch ein wenig Abwechslung wäre schön. Gerade werden die Vogel-Apartments im Seitenflügel vermietet. Welch eine Vorführung.

[↖︎] Erst einmal eine Besichtigung. Der alteingesessene Nachbar schaut kritisch. [↗︎] Nach den Formalitäten mit dem Grundbuchamt wird erst einmal vermessen. [↙︎] Der Partner wird eingeladen. [↘︎] Danach sind sie wohl mal ins Einrichtungshaus, denn das erste Interieur haben sie dabei.

Nun noch schnell etwas geholt und – da fliegt doch der Dödel ins falsche Apartment! Die Frau schaut entsetzt. Mit dem soll ich nun Kinder machen? Frage ich mich auch. Ich werde das auf jeden Fall weiter im Auge behalten. Wenn da was schiefläuft, kann ich mal ein Care Paket für die alleinstehende Mutter rüberschicken.

Nebenan sitzt oft ein Vogel auf der Dachkante. Ich steh da und beobachte ihn – er hockt da und beobachtet mich. Nichts passiert, nur die Zeiger der Uhr gehen unaufhörlich weiter. Ehrlich gesagt stimmt das nicht. Die Batterie ward erschöpft und so schafft der Zeiger nicht mehr das Erklimmen zur 12. Ich habe irgendwie nicht die Notwendigkeit gesehen, da einzugreifen. So ist es schon seit Tagen 18:10:44 und der Zeiger zuckt nur eine halbe Sekund vor und zurück. Was soll‘s. Entschleunigung in Reinkultur. Zurück zu dem Vogel. Ich schleiche mich hinter den Vorsprung und schwupdiwutz ist der Vogel im Dach. Er hat da sicherlich angefangen, eine Familie zu gründen und möchte nicht, dass ich das weiß. Kann sein, dass er in wilder Ehe…

Wir haben auch noch andere Besucher. Diese erfreuen sich meiner Versuche, auf Selbstversorgung umzustellen.

Sie schwirren da hin.

Sie schwirren dort hin.

Immer wieder rein in meine Blüten. Keiner ist unterwegs mit Mundschutz. Die 2 Meter Klausel halten sie schon ein. Nicht untereinander – von mir wohlgemerkt. Manche sind schon mit meinen Bewässerungsritualen vertraut. Sie sitzen da am Tröpfchenspender und warten. Unglaublich, was hier so alles passiert.

Auch gibt es welche, welche durch meine Aktivitäten keinerlei Störung empfinden. Sie legen sich in die Blüten und machen ein Nickerchen. Ehrlich. Ich geh noch hin und frag, was das soll. Keine Reaktion. Wenngleich ich es auch verstehen kann. So wohlig eingekuschelt in der Blüten Bunt und Duft – da kann man nur was Tolles träumen.

Ich schau mir nun das Ziel dieser ganzen Rüssel an. Auch faszinierend.

Huh – was für eine Freude es wär, könnt ich in dieses weiche Meer, mich kuscheln wie der Biene Laib, was wär das für ein Zeitvertreib. Ach, bei dem Anblick kommt der Goethe aus mir raus, merk ich grade. Kein schlechtes Zeichen.

Schön, doch wo wird hier der Rüssel fündig?

Ich hörte es auch munkeln, dass es in den Ranunkeln, wenn nicht grade dunkel, gar unbeschreiblich funkel.

Dieses fast psychedelische Lila, welches sich jeden Abend schließt, hat doch einen kleinen Konstruktionsfehler, wie mir scheint. Nicht wenig von der Pollen Fülle wird geschmaddert an der Blüten Blätter. Ist das so gewollt? Ich würd‘ ne Biene fragen. Diese wiederum weiß eventuell gar nichts von ihrer Bestimmung. Darauf aufmerksam gemacht, könnte sie ihre ganze Existenz überdenken. Sitzt folgend desillusioniert auf dem Zweig und grübelt. Ne ne ne, das ist die Kernkompetenz der Menschen. Lassen wir es mal so, wie es ist.

Das sind die am meisten Frequentierten. Die Farbe wohlig orange, dem inneren Mutterleib gleich. Doch warum die Bienen? Sie hatten gar nicht die ante natum Erfahrung. Ich habe hier noch viel zu tun, mich dünket.

Śliczny ist wie immer prześliczny.

Kommen wir jetzt nach jwd.(jod-we-de) Ich wohne ja hauptsächlich jwd. Nein, eigentlich wohne ich noch jwder als jwd. Historisch gesehen genau hinter jwd oder die Puppen. Das hört sich komisch an, aber ist einfach so. Ich kann nichts dafür. Für alle, die nun total verwirrt denken, was soll das, wage ich hier mal eine kurze Erklärung reinzuschieben. Also jwd heeßt ja – janz weit draußen – und meent eijentlich da’de schon usse Stadt raus bist. Wenn’de dich damals uffn Wech jemacht hast und im Tierjarden anjelangt bist, warste schon jwd, weil det jebraucht hat, bisde inne Puppen warst. Die Puppen sind, für alle die dit nich wissn, die janzen Statuen die da im Wald uffjestellt warn. Und um da hinzuloofen brauchteste ne janz schöne Weile. Länga jeht fast nich. Jemacht hat dit och fast keena. Hattn ja die janze Zeit zu malochen. Damals halt, wose noch nich de janze Tach im Kaffe rujehockt ham. Kla sind schon paa uffn Trottoir rumjeschländat. Dit warn aba nich die Meesten sondan nur janz Wenije. Und ick wohn nu aus deren Richtung jesehn jenau da hinta. Also tarnsjwd. Kikste uffn Stadtplan kommste heute janich uffe Idee dat dit schon jwd is. Liecht doch jenau ina Mitte. Heute – damals nich! Als’de Charlotte sich son’ne Laube hat hinstellen lassen – ja die war schon ete petete – da fandse it och doof, dass dit uffn Land war. Dit Dorf hieß ja Litzow und hatte so um die 20 Einwohna. Für Charlotte war dit einfach. Hat se doch ihren Jötterjatten jesacht, dat dit nun keen Dorf mehr is sondan ne Stadt. Und so waret. Janz eenfach. Und heute wolln wa nun raus ause Stadt und da müssn wa noch viel weita fahn als damals. Also jwd ist viel weita wech. Schon fast bei Hintertupfingen. 

So ist denn unser Garten genau dort. Wir haben ein neues Boot erstanden und müssen die Seetauglichkeit mal ausprobieren.

Die Biber sind ganz unbeeindruckt. Die Enten schauen argwöhnisch.

Schwäne sorgen sich um ihren Nachwuchs.

Hier wird auch geschaut, was in der Blüten Pracht so lecker ist versteckt.

Die einzige Ficht, die noch nicht anheimgefallen von dem Schädling, treibt wundersames aus.

Die Nacht bricht ein – ich geh nach Haus.

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