Wie Alles begann

Es geht nicht um den Urknall, Adam und Eva, Eiszeit oder Karl den Großen. Hier geht es um mich. Nicht 7 vor Joe, nicht 28 nach Joe, sondern genau im Jahre Joe. Für mich nicht nachvollziehbar einigte sich der größere Teil der Weltbevölkerung auf Christus als Anker des Kalenders. Tss…

Meine Mutter schrieb immer sehr viele Dinge auf. Jedes Jahr füllte sie einen Kalender mit Einträgen von allem Wichtigen. Wie weit das zurückreichte, war mir lange nicht klar. Als Kind war es mir auch herzlichst egal. Man denkt da nicht an Zukunft oder Vergangenheit. Komisch, dass es mit steigendem Alter eine Verschiebung gibt. Vergangenheit = Alter2. Irgendwann hatte ich dann den ganzen Stapel gesehen und war natürlich neugierig, was da wohl drin geschrieben stand. Zuerst erwischte ich den Jahrgang meiner Schwester Geburt. Ein schlappes Jahr vor mir und vollgeschrieben jede Seite. Angefangen von den ersten Schwangerschaftsbeschwerden bis zum Krabbeln. Lustige Geschichtchen – aber nicht meine. Ich bin gespannt. Irgendwie hatte ich ja immer den Eindruck, dass ich meiner Mutter Lieblingssohn bin. Da ist es nun. Das Jahr meiner Geburt. Ich halte es in den Händen. Schlage auf und   – nichts. Kein einzig Wort im ersten Monat.. Ausgenommen natürlich die ab Werk schon eingedruckte monotone Wiederfolge der Tagesnamen. Ich überspringe kurzerhand den Februar und suche in leichter Panik meinen Geburtstag. Schaue auf die Wochenansicht und glaube nicht, was da steht. Langsam hebe ich meine Augen, um den Blick meiner Mutter zu suchen, schaue sie an und frage: »Ihr hattet ein blau weißes Wartburg Coupé?« Sie lächelt und sagt: »Ja. Das war, musst du wissen, damals ein tolles Auto. Wir sind damit-« Halt Stopp rufe ich! Über die Woche, die meinen Geburtstag beherbergt, war diagonal geschrieben –Wir haben ein blau weißes Wartburg Coupé -. Nichts weiter. Auch die darauffolgenden Tage – nichts. Nichts davor. Ich fange an zu blättern. Leere Seiten. Kein Wort, keine Markierung, nichts. Nichts weiter stand in diesem Kalender. Das muss ich erst mal sacken lassen.

coupeNicht das sie den Wagen in dieser Woche erworben haben. Nein, den hatten sie schon vorher. Echt schön, dass es hier noch mal Erwähnung findet. Sollte ich mal die Muße haben, alle anderen Jahrgänge durchzuforsten, hoffe ich zu finden – Wir haben Joe –

Ich frage meine Mutter, was den so in dem Jahr passiert sei. Sie schaut mich fragend an. »Warum?« Na ja, sag ich, du schreibst doch immer alles für dich Wichtige auf. Ja, mach’ ich, warum fragst du, war ihre Antwort. Ich zeige ihr wortlos den Kalender. Sie schaut auf das Jahr, schlägt ihn auf, beginnt zu blättern und schaut ungläubig.

Die Erklärungsversuche meiner Mutter lass ich mal bei Seite. Jeder, der eine liebende Mutter – und das ist sie wirklich – hat, wird sich vorstellen können, wie es ablief. Ich lasse mich nicht beirren. Innerlich schmunzelnd erläutere ich ihr, dass ich schon immer gewusst habe, wo ihre Prioritäten liegen. Ein blau weißes Wartburg Coupé. Ja, das ist wichtig. Sonst ist ja nichts passiert in diesem Jahr. Meine Mutter wird immer unglücklicher, bis ich sie in die Arme nehme und sage, das alles gut sei.

Meinen Wert habe ich rausgefunden. Beruhigend. Jetzt brauch ich nur noch meine Aufgabe. Das Leben kann so einfach sein. Lass es uns angehen.

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