Ungarn 🇭🇺

Wir waren so oft da. Ob ich das alles in der richtigen Reihenfolge erzähle, wage ich zu bezweifeln. Angefangen hat es vor über 40 Jahren.

Zelten in Tihany

busSehr markant war der Einkaufsbus. Jeden Morgen kam ein Bus und öffnete seine Türen. Im Inneren waren alle Sitze entfernt worden und durch Regale ersetzt. Wir waren immer sofort da und schauten nach, was er so alles offerierte. Mit „wir“ meine ich meine erste – sagen wir mal – Freundin. Sie war eine kleine Ungarin gleichen Alters und sprach kein Wort Deutsch.

Ich wiederum war des Ungarischen nicht mächtig. Größere Streits waren somit schon mal ausgeschlossen. Meine Mutter erzählte mir, dass wir unzertrennlich waren. Wir wurden schon als Ehepaar auf dem Platz gehandelt. Ich kann mich nur noch positiv daran erinnern. Wie wir kommunizierten, ist für mich heute absolut rätselhaft. Dass wir es taten, steht außer Frage.faehreZusammen kamen wir auch auf eine grandiose Geschäfts-Idee. Angetrieben vom Verlangen auf leckeres Eis für 2 Forint an der Anlegestelle der Fähre, sammelten wir Pfand-Flaschen. In den nahe gelegenen Restaurants wurden diese verwendet, um den Gast zu überreden, sie nicht mitzuführen, sondern abzugeben. Da beim Klingeln, dem Zeichen der baldigen Abfahrt der Fähre, einige es nicht schafften, die Flaschen zurückzubringen, übernahmen wir dieses, großzügiger Weise für sie. Gegen ein entsprechendes Entgelt natürlich, welches sich auf Höhe des Pfandes belief. Ab und zu kam es vor, dass es uns nicht schnell genug ging. Fehlten nur noch ein paar Filler krochen wir unter den Tischen entlang, um von unten die leeren Flaschen zu stibitzen. Ich war mir keiner Schuld bewusst, da ich vermutete, dass ich die Flasche über kurz oder lang sowieso erhalten werde. Heut glaube ich, dass ich in meinem Alter damit nicht mehr durchkommen würde. Solch zwei süßen Kindern kann man aber nicht wirklich schelten.

hotelAuch kann ich mich an die erste Panne unseres Autos erinnern. Der Keilriemen war gerissen. Wenn ich es mir recht überlege, war diese das einzige Mal, wo ich einen Keilriemenriss erlebte. Total witzig. Nicht für meinen Vater. Dieser konnte nicht gut mit so etwas umgehen. So interessierte ich mich schon früh für unkomplizierte Lösungen und hörte aufmerksam den Älteren zu. Hier musste meine Mutter ihre Strumpfhose opfern. Schweren Herzens tat sie das. So einfach war es nicht einen dafür Ersatz zu bekommen. Ja, damals hat man die Dinger tatsächlich noch geflickt. Ich weiß, wovon ich rede. Habe es selber oft gemacht, weil ich Strumpfhosen für einige meiner Versuche benutzte. Wenn ihr jetzt komische Gedanken habt, kann ich euch versichern, die Frau war dann immer schon raus. Wir fahren weiter durch die Nacht, immer hoffend, dass die Konstruktion hält. Angekommen auf dem Zeltplatz, war der gute Strumpf natürlich total zerfleddert. Da war nichts mehr zu retten.

Meine Eltern hatten ab und zu einmal das Bedürfnis, auszugehen. Wir Geschwister blieben dann alleine. Klar hatten wir ein eigenes Zelt. Ein braunes Leinen Armeezelt aus den Beständen der deutschen Wehrmacht mit Holzknöpfen zum Verschließen. Dieses hatte dem Regen nicht mehr viel entgegenzusetzen. So oft regnet es hier nun nicht und so war es für uns sehr komfortabel. Wir fühlten uns, wir unsere eigenen Herren. Bricht nun ein Unwetter aus, schwindet sehr schnell die Begeisterung. Das Zelt ist nicht mehr zu halten. Alle Versuche des durchströmenden Wassers Herr zu werden scheitern. Wir ziehen uns zurück, unter den elterlichen Wagen. Der Regen peitscht, der Donner grollt. Blitze durchzucken den Himmel und beleuchten die arg vom Wind gebeutelten Eichen. Friedlich schlafe ich ein. Aus dem Schlaf gerissen, nicht verstehend warum, schaue ich in das bleiche Gesicht meiner Mutter. Was ist los, stammele ich noch schlaftrunken. Sie presst mich nur fest an sich. Wir Kinder verstehen nicht, was das Theater soll. Erst am nächsten Morgen wird das Ausmaß des Sturmes sichtbar. Eine Dicke fette Eiche, sicher hundert Jahre alt, liegt neben unserem Zelt. Überall wird gehämmert, um die Heringe wieder in ihr Element zu bekommen. Geborsten Zeltstangen, gerissene Stoffbahnen, durch Sturzbäche ausgehobene Gräben wohin das Auge schaut. Was für ein Erlebnis. Meine Begeisterung ist grenzenlos. Ich laufe hierhin und dorthin. Helfe da und dort. Endlich ist hier mal was los. Nicht im Geringsten dachte ich darüber nach, was mir hätte passieren können. Wie es meiner Mutter ging, verstand ich erst sehr viel später.


Jahre später auf einem Flug von Budapest nach Schönefeld. Ich in kurzer Hose und T-Shirt. Ich steige aus dem Flieger und dicke Schneeflocken fallen vom Himmel. Ich habe nie den Wetterbericht gesehen. So oft ich es mir auch vornahm. Bis heute klappt das nicht. Das über das Rollfeld laufen, war mittlerweile eingestellt worden. Das Bodenpersonal hielt uns an, am Fuße der Treppe auf den Bus zu warten. Meine Knie schlotterten. Nichts zu machen. Ein Mann machte den Anfang und die Menge war nicht mehr zu halten. Rennend überquerten wir den Flughafen, um im Gebäude Sicherheit zu finden.

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