TXL – adieu pour toujours

Nun ist es so weit. Wieder einmal heißt es, Abschied nehmen. Mir scheint, dass es sich häuft. Was für eine komische Zeit. Doch von der anderen Seite betrachtet, hilft es mir einfacher Abschied zu nehmen. Also tschüss TXL. Ich habe dich eventuell nicht geliebt, doch wenn ich nach langem Flug auf dir landete, war ich irgendwie angenehm berührt froh.

Damals als du gebaut wurdest, da versprachst du Freiheit für die Eingemauerten im freien Teil der Stadt. Ja, wie viele waren das und wie oft setzten sie sich ins Flugzeug? Rechnen wir mal mit den zwei Millionen und die verreisen einmal im Jahr. Das ist so ziemlich das, wofür der Flughafen konzipiert wurde. Die letzten Jahre flogen da so um die 22Millionen Fluggäste ab. Überschlagt das mal! Über 1000%. Ich muss zugeben, es wurde mit jedem Jahr ungemütlicher. TXL ist schon ein Flughafen, der nichts so macht wie andere. Passt also voll in die Stadt. Angefangen hatte es mit der Blockade. Schnell musste die Bevölkerung versorget werden, wolle man die Stadt nicht aufgeben. Dort, wo einst die Könige ihr Wildbret etwas unsanft aus dem Wald holten, wurde die damals längste Landebahn Europas zwischen die Eichen gelegt. Noch ein paar Baracken an den neuen Waldrand gestellt – voilà. Tempelhof war für die neuen und größeren Flugzeuge einfach zu klein oder sagen wir mal besser, zu kurz. Wenn da der Kapitän nicht aufpasst, hängt´a bei Oma Jerda uffe Terrasse und dit kann die partout nich leiden. Kommen wir zurück zu TXL. Früh in den 70gern haben sie da ein neues Terminal gebaut. Wenn ich mich recht erinnere, stand der komplette Bau 4 Jahre später bereit, um seinen Dienst zu tun. Das ist also die Hälfte der Verlängerung der größten Peinlichkeit im Süden von Berlin. In den 70gern hatte man so seine bestimmten Vorstellungen, was chic ist und was nicht. So abgerundete Ecken bei allem. Fensterdachkanten… Und dann noch die Farben. Ein Ensemble an neonorangem Rot. Das alles gebacken in Hartplastik unbeschreiblicher Form.

Sicher auch einmalig auf der Welt, dass du mit deiner Karosse genau zum Flugsteig fahren konntest. Das könnt ihr euch eventuell nicht vorstellen, aber es ist so. Das Terminal ist ein Sechseck und von da gehen die ganzen Flugsteige ab. Als Fluggast oder als Transportsklave kannst du in das Innere des Sechsecks fahren und genau bei dem Flugsteig deiner Wahl – ne so weit ging es nicht – noch immer bestimmt der Flughafen den Flugsteig – anhalten. Von dort nur über den Gang. Genau hier wurde dir der Koffer abgenommen. Ein wenig über dein Äußeres gestreichelt und nach 10 Metern standest du vor dem großen Rüssel, welcher liebevoll das Flugzeug küsst, also dem Ereignishorizont zur großen weiten Welt. Wenn ich da denk an Heathrow oder Frankfurt… TXL war mir da schon lieber. Das hatte alles so einen familiären Touch. Ich kann mich noch genau der vielen Reisen erinnern, als ich wirklich auf die letzte Minute eintraf. Im Bus schon die SMS verschickt, den Flug verpasst zu haben, überraschte mich TXL eines anderen. 10 Minuten vor Abflug wurde ich noch mitgenommen! Das lasst euch mal auf der Zunge zergehen. Ich also im Bus schon in der Contenance, wie jemand, der mal dringend muss, vom Busfahrer angesprochen, mit wem ich wohl fliege. Als ich Lufthansa nenne, beruhigt er mich und sagt »Wenne nicht beim loofen einschläftst, kannste dit noch schaffen« Und echt. Ich renn da mit meinem kleinen Köfferchen durch die Halle. Rein in den Kontrollbereich, um dann festzustellen, ich bin beim falschen Flugsteig. Das Abfertigungspersonal hält kurz den Kopf in den Gang und ruft nach neben an »Da kommt noch eena für euch!« So wetz ich rüber und bekomme nicht die erwartete Maßregelung zu hören, sondern »Ganz ruhig – noch sind wir da«

Dieser Flughafen wurde für die Passagiere konzipiert. Nicht, um die Flut an Passagieren zu bewältigen. Also ganz pragmatisch gedacht, was wünscht sich der Passagier. Vorfahren und einsteigen. Wer schon möchte durch unendliche Gänge eilen, an Millionen von Wegweisern vorbei, um dann noch durch einen Einkaufspalast tunneln zu müssen. Klar ist ein Geschäft gut. Wenn du mal noch was zu trinken brauchst oder du nach Hause kommst und weißt von der Leere im Kühlschrank. (Die hatten da echt einen normalen Lebensmittelladen drin.) Wer doch möchte, wenn er auf Reisen geht, seinen eh schon bis an die Kapazitätsgrenzen gefüllten Koffer zusätzlich belasten. Nee, TXL, du warst einfach und ehrlich. Du sahst nicht luxuriös aus, doch dein Luxus war nicht sichtbar und wird erst als solcher erkannt, wenn er nicht mehr da.

Als ich das erste Mal TXL vorgestellt wurde, war ich schon ein wenig erstaunt. Ich hatte ja nun noch nicht viele Flughäfen gesehen und auf jeden Fall machte dieser Flughafen neugierig. Egal wo du in das Sechseck eintauchst, wirst du an deinem Flugsteig landen, auch wenn du in die vermutlich falsche Richtung gehst. Genial, find ich. Damals war es auch schon irgendwie Retro und doch stand man irgendwie dazu. Du merktest sofort, das war der Flughafen dieser Leute. Es wurde auch meiner. Ich bin nun wirklich oft geflogen und wenn ich schon am späten Abend fliege, möchte ich nicht in Schönefeld landen, auch wenn es ein paar Euro mehr kostet. In der Zeit, in der wir so halb in Marseille wohnten, fuhr ich mit dem Fahrrad zum Flughafen, kannte alle möglichen Verbindungen auswendig. Fiel dann mal eine Maschine aus, so war ich es, der dem Personal meine Wunschverbindung nannte. Zu deren Erstaunen. Der Flughafen ist nicht weit von uns und doch hören wir selten etwas von dem Lärm, der so von einem Flughafen ausgeht. GG schrieb meistens eine SMS, sobald sie Bodenkontakt hatte. War sie nur mit Handgepäck unterwegs, so sollt ich mich in den nächsten 5 Minuten aufmachen. Mit eingechecktem Koffer kann ich ruhig noch einen Kaffee trinken. Was für ein Luxus. Das werde ich vermissen. Oft die Mitreisenden gehört, welche sich nach 16 Stunden Flug noch Stunden durchs Land schlagen müssen. Wenn ich in TXL gelandet bin, war ich mental zumindest, in meinem Wohnzimmer.

Auch die Flugreisen innerhalb Deutschlands verlieren nun ihre Begründung. Wenn auch ich in letzten Jahren mehr Flugscham hatte als eine Kohlmeise, war doch die Zeit manchmal ein schlagendes Argument. Ob du nun nachts um halb 2 von Frankfurt kommend am Hauptbahnhof ankommst oder um 11 in TXL. Nächsten Morgen geht es zur Arbeit. Da kommt man schon ins Grübeln. In Schönefeld landend, kann ich gleich den Zug nehmen. Doch ich hätt gerne die Option….

Einige Umstände, welche außerhalb, drängten auch TXL zu Veränderung. Als echten Berliner gefällt ihm das natürlich nicht. Ich meine, solche Sachen wie Flugzeugentführungen und die damit einhergehende Sicherheitskontrollen. Für viele sicherlich nicht ganz nachvollziehbar, wenn sie es nicht erlebt hatten. Doch als Fliegen immer populärer wurde und auch erschwinglich, war es in den Anfängen eher wie Busfahren. Der Flugsteig war die Haltestelle. Und hat schon mal jemand seine Tasche beim Busfahren kontrolliert bekommen? Also nun gab es die Sicherheitskontrollen, welche ja mit dem prinzipiellen Konzept eines Drive Inn nicht wirklich korrelieren. Doch noch war es sehr lax. Also mal die Hände hoch und kurz mit dem Scanner ein paar Fliegen verscheucht. Mal auch gar nicht. Mit 9/11 wurde mehr gefordert. Die Schlangen wurden länger und alles aufwendiger. Bei dem Durchsatz hatte es schon eher den Eindruck wie eine Herde Schlachtvieh, beim letzten Gang, solange du nicht im Terminal A landest. Hier war es noch immer familiär.

Eine wirklich krasse Veränderung war in diesem seinem letzten Jahr Corona. Uns hat es geholfen, von ihm Abschied zu nehmen. Ich hatte echt keine Lust, in Hochzeiten der Pandemie mich dem zu stellen. Ganz vergessen hatte ich TXL nicht. Oft streunten wir durch den verbliebenen königlichen Jagdgrund drumherum. Die Landebahn wie ausgestorben. Ich stand 10 Minuten am Zaun, und ratet mal, was passierte. Nichts. Kein Start und keine Landung. Kein Fahrzeug, welches sich irgendwie bewegt. Nur langsam schoben sich Schäfchenwolken über das Gelände.

So im Herbst kamen wir auf die Idee, Weihnachten im Warmen. Schon die möglichen Ziele abcheckend, kam es anders, wie ihr alle wisst. Wieder im Gefängnis des häuslichen Wohnzimmers, verpassten wir die Chance TXL auf Wiedersehen zu sagen. Doch wenn ich’s recht überlege, wären wir sicher nicht vor dem 7.11 geflogen.

 

Wat soll ick noch sajen – TXL – ick werd dir vermissen.

Wie schmerzlich ist mir noch nicht bewusst.

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