Sylvester

Sylvester ist nicht unser Tag. Nun könnte man meinen, dieser Tag vergällt uns den solchigen, da wir nicht sehr erfreut sein könnten, uns wieder mal eine neue Jahreszahl merken zu müssen, was ja nun unweigerlich passieren wird. Oder auch, dass wir keine Liebhaber des Feuerwerks wären, folgend das späte zu Bett gehend.  Sicher sind der Argumente viel zu finden, diesen Tag nicht mögen zu wollen. Bei uns ist es eher so, dass dieser Tag uns nicht mag. Schon das erste gemeinsame Sylvester endete so, wie wir es nicht erwarteten. Fernerhin mag ich Überraschungen, die Dich im Strudel des Lebens mal dort, mal dorthin spülen. So versuchen wir uns immer wieder an dem Tag. Doch die Beharrlichkeit des unkonventionellen Ausgangs unserer Jahresendtätigkeiten, hält sich entschlossen. Mal stranden wir in Frankfurt (O) auf der Brücke ohne Ausweis, Geld, noch einer Idee, wie es weiter gehen könnt. Mal in einem dunklen, abgewrackten Zimmer ohne Essen und Trinken in Delhi, King Kong schauend aus Mangel an Optionen. So setzte es sich über die Jahre fort, bis wir diesen Umstand einfach akzeptierten. In Grunde ist es auch nicht weiter schlimm. Zu wissen, einen Tag im Jahre opfern zu müssen, um den Rest meistens auf der Sonnenseite zu stehen.

Auch wenn es hier so beginnt, beschreibt es nur, wie wir in diesen Tag starten. Heute zieht es uns ins Brandenburgische. Diesen Umstand alleine finden sicher einige Berliner wie auch Brandenburger etwas abweichend von dem Üblichen. Viele zieht es in die Stadt, um der Feuerwerke Mannigfaltigkeit genießen zu können. Millionen drängen sich ums Brandenburger Tor und frönen dem Feiern. Mir persönlich ist das ja schon ein wenig zu viel des Guten. Wir hörten von ein paar Freunden über eine tolle Feier im Wirtshaus Havelbaude in Birkenwerder. So geben wir dem eine Chance. Als wir uns im Herbst, nach einem Spaziergang an der Briese, um Karten dafür bemühten, wurde uns leider mitgeteilt, dass diese schon früh im Jahre alle vergeben. So fragte ich Scherzens halber für das Nächste. Der Wirt lachte, holte aber sein Bestellbuch und trug uns als Erste ein. Was nun? Wir gehen durch den Ort und fragen im Restaurant Boddensee. Hier hatten wir Glück. Das Lokal liegt schön gelegen an einem kleinen See mit einer Terrasse über diesem.

Nun komme ich endlich zu der eigentlichen Veranstaltung. Das Lokal hat mehrere Räume. Einer ist neben der Terrasse mit Blick auf den See. Durch Einen musst du durch gehen, um in den Anderen vor der Terrasse zu kommen. Unendlich viele Tische stehen fein gedeckt, wartend der Gäste. Wir erhalten einen Tisch direkt an der Tanzfläche im großen Raum. Was bin ich froh. In dem Durchgangsraum zu sitzen, abgeschirmt von den hüpfenden Leibern und der Musik, nur auf Wände rundherum zu schauen und auf andere Gäste, mir müßig erscheint. Im Laufe des Abends sah ich auch so manche Stimmung sinken in diesem Raume. Mag es an der Gesellschaft liegen oder am Ambiente, ich fragte nicht. Wir sind ja nicht so die wahnsinnigen Liebhaber von Essen- wie Getränke-Flat. Oft artet es in großzügigem Konsum aus und in leichtem Verlust der Contenance, da der quälende Gedanke dem Wirt etwas geschenkt zu haben, viele umtreibt. Schon die erste Runde Trinkbares ließ eine Weile auf sich warten. Wir erkannten schnell, dass die Kellner zwar willig, aber in der schieren Anzahl einfach zu wenig. So reifte der Entschluss uns einzudecken für den Abend. Die Bestellung einer ganzen Flasche Wein wie auch Sekt löste eine kleine Verwunderung in den Augen des Kellners aus, wenn ich das richtig interpretiere. Befreite uns aber des Durstes für den Abend und ihn vor weiteren Gängen. Das Buffet war überaschenderweise reichhaltig und auch gut. Da sollte ein Jeder etwas für ihn Wohlmundiges gefunden haben. Kommen wir zu der Musik. Ein DJ legte auf. Scheint normal und doch etwas ungewöhnlich. Der etwas ältere Herr hantierte mit selbstgebrannten und händisch beschrifteten CDs herum. Habe ich lange nicht gesehen. CDs sind ja nun noch nicht so alt, aber auch nicht alt genug, um antiquarisch speziell zu sein. So kam es nur etwas altbacken rüber. Oft war auch die Musik in die Richtung. Ich möchte es nicht schlecht reden, aber auf Anfrage eines Musikstückes antwortete er, dass seine Holde fiebrig im Bette verbringe und er auch nicht ganz gefeit davon. Den unmittelbaren Zusammenhang nicht sehend, trabte ich verwirrt wieder von dannen. Allenthalben keimte in mir der Verdacht, er sei überfordert mit seinem System und sein Zustand erlaube keine Ausgefallenheiten. Im Großen und Ganzen war zwei Drittel tanzbar. Der Rest wohl mehr für eine Generation, dessen Blüte wir nicht erleben durften. Kann aber auch sein, dass er versuchte dieser nicht im Geringen vertretenen Gruppe gerecht zu werden. Nur, dass diese diese Musik auch weitgehend mied.

Kurz vor der doppelten Doppelnull auf der Uhr begaben wir uns auf die Terrasse. Die Musik spielte beharrlich für eine leere Tanzfläche. Unbeirrt schritten die Sekunden, bis dann auf der anderen Seite des Sees die Raketen in den Himmel stiegen. Die Anwesenden schauten verwirrt auf ihre mitgeführten Zeitanzeiger. Von uns unbemerkt, waren wir im neuen Jahr. Noch immer drehten sich die CDs ohne Unterlass und gaben die darauf gespeicherten Rhythmen frei. Kein Countdown, keine Ansage! Immerhin sah sich die Crew bemüßigt, das versprochene Feuerwerk seinem eigentlichen Zweck zuzuführen. Zwei Batterien gaben, was sie zu geben bereit. So kurz wie es hier beschrieben ist es auch gewesen. Nichts Außergewöhnliches für ein organisiertes Vergnügen. Kam etwas lieblos bei mir an. Im Aldi eingekauft, hingestellt und angezündet, da es versprochen. Allerwärts startete um den See eine wahre Pracht. Hier waren profunde Liebhaber am Werke, welche weder Kosten noch Mühen scheuten. Dieses überdenkend fand ich es eigentlich besser so. Das Funkeln im dunklen Himmel spiegelte sich auf den schwarzen ruhigen Wassern des Sees. Keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben. Gegen 2 tollten wir in Richtung Bette. Zusammenfassend: Einer der besten Sylvester.

Am nächsten Morgen ausgiebiges Frühstück und ein Spaziergang in Glashütte. Kein eisiger Wind pfeift um unsere Nasen. Auch wenn ich es als sehr angenehm empfinde, macht es doch nachdenklich. Hätte Lust im Schnee zu gehen, doch keine Lust zu frieren. So nahm ich die Hand der Meinen, um an des Flusses Rand zu folgen diesem Band durch erstes Grün. Schon brechen Knospenhüllen. Blüten, welche nicht bekannt durch frühzeitiges Erscheinen, beginnen die Bienen zu locken, welche noch tief ruhn. Hoffentlich. Es ist Januar 2020.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*