Segeln

Wie ich genau angeregt wurde, diese Geschichte zu erzählen bleibt erst einmal im Dunkeln. Es ging nunmehr nur um das das. Also in 15 Minuten. Über Wasser. Jedenfalls überlegte ich, und als ich so überlegte kam mir ein Schmunzeln übers Gesicht. Es hat jedenfalls irgendwie etwas mit Wasser zu tun. Es gibt viel, was ich über Wasser erzählen könnte. Auch verbindet mich eine große Zuneigung zu dem Element. Mag sein, dass es in der Tatsache begründet liegt, genau an der Schwelle initiiert worden zu sein. Wer könnt nicht irgendetwas über Wasser erzählen? Na ja, auch wenn ihr es nicht glauben wollt, ich war ja mal jünger. Also nicht einer dieser Begleiter von Jesus. Jedenfalls habe ich das nicht aktiv bemerkt. Nein, ich meine so alterstechnisch. Ok wenn ich es noch genauer definieren sollte, ist wohl die allgemeine Körperpräsenz gemeint. Geistig, oder sagen wir mal etwas freundlicher, mental, habe ich auch versucht erwachsen zu werden. Aus meiner Perspektive, habe ich da große Fortschritte gemacht. Doch wenn ich es von außen betrachte, glaube ich fast, dass meine Kinder mich da überholten. Mist, schon wieder tendiert die Erzählung in eine Richtung, welche ich gar nicht so wollte. Dieses Biest macht sich einfach selbstständig. Ich schneid hier einfach den Faden ab und beginne, wie alle Geschichten beginnen sollten.

Es war einmal auf Rügen. Die Sonne schien, und ich war weder geistig noch körperlich herausgefordert. Es war für mich in dieser Lebensphase noch nicht problemlos möglich, in den Modus zu kommen der da am besten mit dem Spruch »Die Sonne scheint durchs Kellerloch – lass sie doch« umrahmt werden könne. Stellt euch meine Freude vor, als einer meiner Bekannten fragte: »Was ist denn mit segeln?« Sofort war ich dabei. Wir trafen uns im Hafen von Breege, um von dort auf große Fahrt zu gehen. Ich war natürlich auf alle Situationen vorbereitet, die eine Seefahrt so mit sich bringen könnte. Mein Kumpel kam an mit zwei Segeltaschen und fragte mich, wo denn mein Gepäck wäre. Ich verstummte. Nein, eigentlich hatte ich noch gar nichts angefangen etwas zu sagen außer ‚Hallo‘, und nun wagte ich gar nichts weiter zu sagen, weil mir die Frage so absurd vorkam. Gepäck? Wozu? Er konnte mit Sicherheit die Unfähigkeit in meiner Körpersprache erkennen, nichts mit seiner Frage anfangen zu können. »Hast du Regensachen, was zu essen und trinken?« Fangen wir mal ganz langsam mit dem ersten Punkt an, sonst wird es unübersichtlich. Regensachen.? Ich steh hier an der Wasserkante und schaue mich um. Hier ist nichts über mir außer blau. Ok noch ein, zwei Möwen, doch braucht man dafür Regenkleidung? So könnte ich auf diesen Teil der Fragen nur -Ähh- antworten. (Ich hoffe ich komme insgesamt zu einem besseren Ergebnis.) Das scheint mir ein wenig blöd auszusehen. Kommen wir zum Essen. Zu dieser Lebensphase schien mir Essen und Trinken nicht essenziell wichtig. Klar, wenn man mal Zeit hat und es auf dem Tisch steht – doch, wenn irgendein Abenteuer lockt… Ich stand hier vor einem Abenteuer und so fiel mir als Antwort zu diesem Teil der Frage nur -Ähh- ein. Ziehen wir das mal flugs mit der Beantwortung des ersten Teils zusammen und bilden das statistische Mittel. Ähh+Ähh=2Ähh/2=Ähh. Es ist wie es ist! Ich stand hier meines Erachtens voll präpariert für diesen Segelturn, also in Jeans mit Jeansjacke. Um da rauszukommen, sagte ich nur »wird schon gehn«

Erst mal aufs Schiff. Wir gehen nun den Steg entlang, und er bleibt vor so einem kleinen Plastikkahn stehen, wirft seine Taschen rein und sagt: »Mach mal die Verkleidung vom Segel runter« Ich steh noch da und denke – mit dem Teil? Sagen tu ich allerdings »Hast du nichts von einem 9 Meter Kahn gesagt? So’n Dreimaster Kabeljau?« Das wäre sein anderes Boot und dieses liege in Ralswiek. Meine Träume zerplatzen gerade ein wenig. Ich träumte von großer Fahrt in ferne Gestaden und nun das hier. Wozu habe ich mich so intensiv vorbereitet?

»Wo segeln wir hin« traute ich mich zu fragen. »Ein wenig im Bodden – Wittower Fähre?« Na toll! Dieses Gewässer ist rundherum von Land umgeben und nur ca. 2 Meter tief. Ne inverse Insel, sozusagen. Klar, mit Schwimmen bräuchte man schon eine Weile es zu kreuzen. Doch mit einem Boot… Was soll’s. Meistens kommt es anders und so stürze ich mich ins Abenteuer. Besser als am Strand rumsitzen ist es allemal.

Langsam, wirklich ganz langsam verlassen wir den Hafen. Überall liegen große Findlinge im Wasser, so dass es eher wie ein überschwemmter japanischer Steingarten, denn wie ein Meer aussieht. Meine Tätigkeiten an Deck beschränkten sich bis hier auf die Dinge, die ein gewöhnlicher Galeerensklave zweiter Klasse bei einer Seereise so macht. Doch bald kommen wir in offene Gewässer – lachhaft bei dem Gedanken an den Bodden. Mein Kumpel versucht nun, aus mir einen Seemann zu machen. Erklärt mir die exakten Begriffe für jedes Seil. Doch schon bald schau ich ihn nur noch an, ich hoffe es sah interessiert aus und meine Gedanken schweifen ab. Wozu sollte ich den wissen müssen wie das Seil heißt? So segeln wir gemächlich übers Wasser , und er denkt eventuell mich zu einem richtiger Seebär gemacht zu haben. Das Ufer kommt näher und er fragt »Bereit zur Wende?« Klar doch, immer! Verheißungsvoll schaut er mich an. Ich ihn. Wenn er nicht gleich irgendetwas macht werde ich ihn mal wenden, denke ich so bei mir. Was will er nun von mir? Offensichtlich hatte er mir erklärt, was zu tun sei und erwartete es nun von mir. »Hey wenn ich irgendeine Strippe ziehen soll, dann musst du mir sagen welche!« Jetzt stand in seinem Gesicht deutlich das Hää? geschrieben. So sieht das also aus. Macht nicht einen besonders intelligenten Eindruck. Ganz davon abgesehen bekommen wir das hin mit der Wende. Intuitiv erschließt sich mir das Getane und beim nächsten Mal funktioniert es ziemlich reibungslos. Allenthalben ändern wir den Stil der Kommandos in Landrattensprache. Da wird nichts mehr erwähnt von reffen, Focksegeln, Backbord oder Schoten, obwohl ich doch einige Schoten von mir gegeben haben muss, im Auge des Kapitäns. (Nur mal so zur Anregung für diejenigen, die sich in der Seemannssprache nicht so vortrefflich auskennen wie ich. Schaut mal bei Wikipedia unter Schoten nach! Da steht schon im ersten Abschnitt – Schoten sind Bestandteil des laufenden Guts- Da wird’s schon kompliziert für mich. Bin nun ich damit gemeint oder irgend so ’ne Strippe?) Ab jetzt bekam ich Kommandos wie »Zieh links am Vorsegel« Diese schienen mir auch wesentlich verständlicher. So segeln wir da hin und her. Kreuzen tun wir genau so. Immer mehr versuchen wir das Boot in Fahrt zu bringen. Naturgemäß neigt es sich immer mehr. Schon kommt das Wasser über die Bordwand und erfüllt den Fußraum. Egal. Ich hänge oben auf der Bordwand und versuche die Windlast auszugleichen. Doch alles hinauslehnen reicht irgendwann nicht mehr. Mich hat es gepackt. Ich will mehr. Widerwillig ergibt sich das Boot seinem Schicksal. Aufmurrend wie ein Kind, dass du vom geliebten Spielplatz zerrst, möchte das Boot den Bug in den Wind drehen. Nicht mit mir! Ich darf das Ruder bedienen. Immer mehr Kraft ist notwendig. Mein Kumpel, schon angesteckt von mir, schlägt nun das Trapez vor. Könnt ihr euch vorstellen, was bei diesem Vorschlag in meinem Kopf vorging? Ich häng hier wie ein Schluck Wasser an der Pinne und er möchte irgendwelche Kunststücke aufführen. Doch als er anfängt mir zu erklären, erschließt es sich mir sofort. Du baumelst – ist sicher nicht der korrekte Fachjargon – ein Seil von oben vom Mast herunter mit einer Schlaufe unten. In diese kannst du deinen Allerwertesten schieben. Folgend die Füße von außen auf die Bordwand. Dein Gewicht ist weit außerhalb des Bootes und somit kannst du mehr Wind im Segel haben. Ich bin sofort dabei. Schon hänge ich außerhalb des Bootes und die Wellen pfeifen 5 cm unter mir hindurch. Was ein Spaß. Klar musst du bei jeder Wende versuchen rechtzeitig an Bord zu sein. Das erste Mal klappt das ganz gut. So werden wir ein wenig übermutig. Kaum merklich frischte der Wind immer weiter auf. Mir ist es recht. In einer ziemlich ruhigen Phase schaue ich mich um. Keiner ist mehr mit dem Boot unterwegs. Es pfeift auch schon ganz schön heftig. Mein Kumpel meint, das installierte Segel hat für diesen Wind eigentlich zu viel Fläche. Eigentlich ist mir das eigentlich egal. Ich mags grad so und er will unter meinen Augen auch nicht aufgeben. Wir düsen auf das Ufer zu und mir fällt das Wort Halse ein. Das war doch irgendwas mit umkehren. Ich so als fast Profi – also wenigstens gefühlt – schlag jetzt mal ’ne Halse vor. Mein Kumpel schaut etwas verwundert aber stimmt zu, wenn ich das unbedingt wolle. Er fragt folgend »Bereit zur Halse?« ich antworte unbedarft: »Aber so was von« Ich steige gerade aus dem Trapez Richtung Boot und bekomme Instruktionen, welche Leinen ich zu lösen hätt, da dreht sich der Wind im Uferschatten schlagartig. Wir in diesem intermediate Status gar nicht darauf vorbereitet. Das Segel schlägt herum. Ich, auf der quasi falschen Seite, werde vom Boot regelrecht hochkatapultiert. Nun der Last befreit neigt sich der Mast bis er denn im Meer eintaucht. Ich fliege gerade in Richtung des im Wasser liegenden Segels. Ist das ne Halse, geht mir noch durch den Kopf. Klar, dass ich im Wasser lande. Da liegt es nun. Wie nun weiter? Ich befrei mich erst mal von der Trapezleine und versuche dem nach unten ziehen meiner Segeljeanskluft Einhalt zu gebieten. Was sich als gar nicht so einfach erweist. Mit Mühe erreiche ich das Boot. Wir müssen alle Leinen lösen, welche die Segel binden und dann aufs Schwert treten, um das Boot aufzurichten. Hört sich einfach an, ging aber erst mal nicht. Ich habe eine Idee. Ich fische die Trapezleine aus dem Wasser und klettere auf die Bordwand. Dann lege ich mein ganzes Gewicht in die Leine. Langsam steigt der Mast der Wasseroberfläche entgegen. Hurra. Nun fließt das Wasser vom Segel. Plötzlich, wie befreit steigt der Mast in die Höhe, kreuzt den Zenith und kommt mir mit Windeseile entgegen. Shit! Damit habe ich irgendwie nicht gerechnet. Gerade noch rechtzeitig springe oder fliege ich zur Seite, bevor der Mast neben mir im Wasser aufschlägt. Das Segel deckt mich zu und ich bin unter Wasser immer noch gefesselt mit der Leine. Etwas suboptimal würde ich das bezeichnen wollen. Machen wir es kurz. Beim nächsten Versuch war ich darauf gefasst und kappte meine Verbindung zum Boot rechtzeitig. Der Mast stand senkrecht und die Segel flatterten im Wind. Erst einmal versuchten wir, die Segel einzuholen. Also irgendwie aufzuwickeln. Das Flattern soll sehr schädlich für sie sein. Aber es hört sich leichter an als getan. Die Bordwand schaute gerade so aus dem Wasser. Die Wellen schwappte drüber, als ob es kein Hindernis wäre. Stellt euch das so vor, als wenn der Mast einfach aus dem Wasser ragt. Das Ganze ist äußerst unstabil. Kaum ein wenig das Gewicht verlagert und das Boot beginnt zu kippen. Die Segel sind gerafft. Wie bekommen wir nun das Wasser aus dem Boot? Es gibt ja so ein Lenzventil, welches das Wasser aus dem Boot saugt, sollte es sich bewegen. Ja ich hab doch noch was aufgeschnappt gehabt. Also hissen wir das Vorsegel und versuchen Fahrt aufzunehmen. Der Wind zerrt am Segel und das Boot bewegt sich kaum. Fühlt sich an, als wenn du einen Treibanker ausgeworfen hast und mit nem Eimer Beton zu segeln versuchst. So kriegen wir das Wasser nie hinaus. Zumal jede Welle neues nachfördert. Der Plan: Einer versucht das mit dem Segeln und einer schöpft wie ein Bekloppter. Langsam, ganz langsam sinkt der Pegel im Boot. Wir gewinnen zunehmend Fahrt und das Ventil beginnt zu arbeiten. Klasse! Wir sind wieder – ja nun nicht on the road – wie sagt man das denn nur? On the boat? Ein bisschen ungünstig ist der Umstand klatsch nass zu sein ja schon. Doch schnell verdrängt sich der Gedanke daran. Noch immer kämpfen wir mit den Naturgewalten. Hey und die nächste Halse klappt. Ich denke, dass der erfahrene Segler dies sicher anders macht. Also wer schleicht bei voller Fahrt, im Trapez hängend, am Mast vorbei. Aber es ging. Der Wind hat langsam eine Stärke angenommen, die nicht mehr feierlich. Da wir Segel aufgespannt haben, welche für laue Winde gedacht, ist das Boot definitiv an seinen Grenzen. Noch ein paar Mal kentern wir. Sodann wir einsehen müssen, dass wir so nicht weiter machen können. Gerade reißt eine Verankerung aus der Bordwand und schleudert mich, der sich an das Seil förmlich gekettet hatte, über Bord. Ich noch immer am Seil hängend, verhinderte, dass sich das Segel öffnet und wir Fahrt verlieren. Falls ihr hier noch nicht das Bild vor Augen habt. Das Boot fegt übers Wasser. Ich häng an der Leine, die das Segel im Wind hält, nur bin ich im Wasser und werde durch die Wellen gezogen. Ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass man an der schnellen Fahrt schuld ist, aber nichts ändern kann. Doch was soll ich machen? Lass ich los ist das Boot langsamer aber doch schon irgendwie weg. Also halt ich fest. Bevor ich jedoch auf die Idee komme auf meinen Fußsohlen Wasserski zu versuchen, dreht mein Kumpel in den Wind. Ach manno. Ich war gerade dabei das Kitesurfen zu erfinden. Ja  – da hängt noch ein Boot an meinem Segel dran und ich habe kein Brett unter den Sohlen. Doch jeder Anfang ist schwer.

Wir beschließen zurück zu fahren. Im Hafen angekommen, werden wir von ein paar Leuten argwöhnisch betrachtet. Die standen also hier und überlegten die ganze Zeit ob wir unfähig oder verrückt seien. Was ist das denn für eine Frage, antworte ich. Ist doch wohl klar!

Niemals hätte ich erwartet noch einmal in den Genuss zu kommen, mit meinem Kumpel zu segeln. Doch nächstes Jahr schlug er vor, eine Tour mit dem großen Boot zu machen. Diesmal war ich ein wenig besser vorbereitet. Also ich hatte was zu Essen und Trinken dabei. Der Plan war, nach Hiddensee zu segeln. Klingt verlockend. Meine Damalige war auch sofort dabei. In Ralswiek im Hafen betreten wir das Schiff. Ich schau über den Bodden. Diesmal ist keine Welle zu erkennen. Eher alles ruhig. Na ja – man kann nicht alles haben. Langsam takeln wir das Schiff auf. Die Segel hängen untätig. Leicht flattern sie in diese seichten Brise. Nach einer halben Stunde waren wir immerhin vom Steg weg. Das Boot hat ja nun einen Motor. Ich fragte, diesen auch benutzen zu dürfen. Worauf ich nur verständnislose Blicke erntete. Der sei nur für den Notfall. Ein echter Segler benutzt den nicht!!! So steige ich in der Hierarchie wieder auf den Platz,  der mir gebührt und schnappe das Ruder. Langsam aber wirklich ganz langsam bewegt sich unsere Galeere. Ein wenig später baucht sich das Segel ein wenig. Ich will nicht sagen, dass wir Fahrt aufnehmen, denn das wäre doch ein zu großes Wort dafür. Stunden vergehen und wir kommen nicht vorwärts. Mittlerweile ist die Meeresoberfläche spiegelglatt. So habe ich das noch nie gesehen. Das Wasser verdunstet und durch den Feuchtigkeitsgradienten reflektiert es an zwei Oberflächen. Also als wenn du zwischen zwei Spiegeln stehst. So kannst du Dinge sehen, welche noch weit entfernt. Irgendwann entscheiden wir uns baden zu gehen. Angst, verloren zu gehen hatten wir nicht. Ohne Wind kein Segeln und so bleibt das Boot genau dort wo es ist. Ob nun die Segel draußen oder nicht. Es ist nicht schlecht so einfach rumzudümpeln, doch irgendwie denke ich sehnsüchtig an meine letzte Fahrt. Die Sonne gibt langsam auf und auch wir sind gezwungen aufzugeben. Kaum etwas Dunkel regt sich ein kleines Lüftchen. Mein Kumpel meint nun, dass wir unbedingt Rum trinken müssen. Das war echt ein widerliches Zeug. Aber was macht man nicht alles mit 18, 19 um als Mann zu gelten. Total blind und bisschen angetütert fahren wir über den Bodden. Stimmen von Land werden weit getragen. Wir hören aus einer Bucht etwas merkwürdige Geräusche und wollen dem auf den Grund gehen. Also ich meine mal nachsehen und nicht den Kahn auf Grund zu setzen. Wir überraschen ein Liebespaar, bei was auch immer, als wir lautlos in die Bucht einlaufen. Richtig erfreut waren die nicht und so drehen wir bei. Was nun? Zurück werden wir wohl kaum kommen. Wir beschließen bei Trend irgendwo festzumachen. Hört sich leichter an als gedacht. Der ganze Bodden hier ist vermint mit Reusen. Kein Lämpchen kündigt diese an. Ich häng so vorne in den Seilen Kopf über Bord und sag Bescheid, wenn sich etwas zeigt. Ohne Wind ist das steuern auch nicht wirklich komfortabel. Doch wir schaffen es. Letzen Endes fahren wir einfach ins Schilf neben einem Brett, was wohl als Steg dient. Die Nacht geht vorüber mit glucksenden Geräuschen. Selten so gut geschlafen. Geweckt werde ich durch Gekicher von draußen. Was ist nun schon wieder so lustig? Draußen steht die Dorfjugend. Das sind ein paar Bauernbengel, welche uns hier entdeckt. Sie laden uns in ihr Schloss ein. Mal echt. Die beiden Rotzlöffel, welche da gerade auf dem Brett balancieren und die kurzen Hosen in dritter Generation abtragen. Ich dachte die spinnen, doch als wir an dem alten Landhaus ankommen ist klar, sie haben nicht geflunkert.

Dank der Bodenreform und des allgegenwärtigen Sozialismus ist die Familie eine von denen, welche hier ihr Heim gefunden haben.  Ganz schön runtergekommen, doch der alte Glanz ist noch nicht ganz getilgt. OK ich versuch mal ein wenig genauer zu werden, um denen, welche die Sozialistische Entwicklung verpasst, ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Alles was 45 so leidlich überstanden, hatte bis dahin seine letzte Renovierung erlebt. Es wurde fortan nichts mehr gemacht. Sämtliche Artefakte einer verirrten russischen Handgranate steckten im Mauerwerk.

Nun kam die Zeit und eigentlich suchte keiner Rat. Die feuchten Wetter malträtieren die angeschlagenen Fassaden und lösen Bröckchen für Bröckchen aus dem früher so stolzen Putz, bis er dann hauptsächlich dahin. Hier kommet noch hinzu, dass dieses Haus ursprünglich vom Architekten nicht als Unterbringung von Schweinen, Kühen und irgendwelchem Geflügel konzipiert war. Wie es also aussah könnt ich nicht treffender sagen als – ne abgewrackte Bauernunterkunft im Schloss. Wir gehen rein! Der Ballsaal ist noch da. Keiner der hier wohnenden Familie zugeteilt, friste er in seiner Unmöbliertheit ein trauriges Dasein. Die alten Spiegel, kunstvoll gefertigt und geschliffen aus Kristallglas, geben kaum noch wieder, was sie sehen. Ich wag mich nicht zu fragen, wer denn der Schönste sei. Das ehemals mit Intarsien geschmückte Parkett hat auch schon sehr gelitten unter den ganzen landwirtschaftlichen Werkzeugen, welche ab und zu hier untergebracht. Die Jungs wollen uns unbedingt noch ihren Lieblingsspielplatz zeigen. Im Garten steht so eine kleine Kapelle. Drinnen alles voller schwarzem Marmor und Symbolen, die ich den Freibeutern zuordne. Das Interessanteste war jedoch die Gruft. Dort standen zwei Särge. Die Dorfjungen hoben den Deckel an und spielten mit den menschlichen Überresten. OK – das ging mir doch ein wenig zu weit. Auch wenn man verstehen kann, dass es sonst nichts Spannendes gibt, was sie sonst hätten tun können. Jedenfalls erfreuten sie sich an unseren erschreckten Gesichtern. Wir machen uns auf den Heimweg. Hiddensee ist erst mal nicht.

Ein halbes Jahr später. Nach Hiddensee zu kommen lag für mich in weiter Ferne. Schon gar nicht hatte ich vor, im Winter mit dem Schiff dahin zu fahren. Es wäre eh gar nicht möglich, weil alles zugefroren. Meines Kumpels Vorschlag nun endlich dorthin zu fahren, erschien mir etwas fragwürdig. Ja wie denn? – konnte ich nur fragen. Er bestand darauf, mit dem Auto hin zu fahren. Klar war ich dabei. So stehen wir nun am Ufer. Gegenüber ist Hiddensee. Das Meer ist gefroren. Eh wenn ich nun nicht unter dem Druck gestanden hätte, als Weichei zu gelten, wäre ich sofort umgekehrt. Doch ich stieg ein. Der Himmel ist grau. Die Wolken hängen tief. Spuren von Licht wabern dazwischen. Nur ein beschränkter sichtbarer Kanal vor uns. Also wie eine Schlucht bloß waagerecht.  Meine Augen nehmen auch diese Form an. Kleine Schlitze, stur nach vorne. Keine Fliege stört die Ruhe. Vor uns die leicht mit Rauschnee bedeckte Oberfläche. Ein paar einsame Spuren eines Fahrzeuges ziehen sich schlangenförmig darüber. Im Grunde, das Einzige was mich ein wenig beruhigt. Doch wann ist dieser Jemand gefahren? War es gerade eben oder schon eine Woche her? Ich möchte darüber nicht nachdenken. Was nur könnte meine Gedanken in eine andere Richtung lenken. Ich schau mich um. Ich sitze hier in einem alten Opel. Ja ihr habt richtig gehört. Dieser ist wohl bei den russischen Kriegsreparationsleistungen irgendwie übersehen worden und so verblieb er als eines der wenigen Fahrzeuge auf der Insel. Das gute Stück hat drei Gänge. Mehr braucht es auch nicht. Jedenfalls nicht für das, was wir gerade vorhaben. Gut, ein altes Auto hat wohl schon ein Jeder mal bestiegen. Doch schaue ich zu meinen Füßen, ist dort nicht das, was man heute da so erwartet. Brett an Brett verhindert, dass du wie in Feuersteins Kiste die Füße auf dem Asphalt hast. Klar macht ein Boden aus händisch geschmiedetem Stahl das folgende Unterfangen nicht sicherer. Das weiß ich. Und doch fühlt es sich anders an. Auch weiß ich, das Holz ein viel besserer Baustoff als Stahl. Es bricht viel später und hier von Vorteil, es schwimmt. Meinem limbischen System ist das alles vollkommen Wurscht. Es will das einfach nicht! Als wenn ich schon jemals auf mein limbisches System gehört hätte. Ist ja lachhaft. Doch irgendwie schafft es, da in die Hirnrinde zu insistieren. OK ich kann mich jetzt auch nicht noch mit meinem Hirn auseinandersetzen. Völlig von dem befreit zeigt mein Finger nach vorne. Endlich mal einer, der hier das Ruder übernimmt. Wir fuhren los. Die vorderen Räder verlassen langsam den festen Grund. Fest ist das auch nicht wirklich. Diese ganzen Feuersteine eingebacken in Eis. Knirschend schieben sie sich zurecht unter der Last der alten Karrosse. Auf dem Eis hört sich so ein abrollender Reifen ganz anders an. Ich kann euch nicht sagen, ob das damit zusammenhängt, das mein panikverbreitendes limbisches System auf den Hörnerv trommelt. Es ist so ein feines Kleinstknirschen mit ein wenig Schmatzen im Abgang. Ich merke grade, dass ich gar nichts unter meinem Hintern habe. Wie automatisch streckten sich meine Beine, als wir die Kante erreichten. Nun häng ich mehr auf der Lehne, als dass ich sitze. Mist – mein Gesichtsausdruck kann doch auch nicht der tollste sein. Ich entspanne meine Beine und ergebe mich dem Schicksal. Wenn man mal echt sein Hirn für die Dinge verwenden würde, die wichtig sind, würde einem schnell auffallen, wie schwachsinnig das ist, was wir hier machen und bei mir kommt noch hinzu, aus welchem Grund. Als nun die Hinterräder das Eis erreichen, übe ich mich daran, mir zu sagen, es wird schon gut gehen. Langsam schiebt sich das Fahrzeug immer weiter vor. Die Angst ist nun zur Normalität geworden und sowas kann man ja nicht zulassen. Langsam wird das Gaspedal immer weiter durchgedrückt. Mir ist es recht. Je schneller es vorbei, desto besser. Egal wie es ausgeht. Gebetsmühlenartig wiederhole ich den Satz, kurble die Scheibe runter, wenn wir einbrechen. Doch die Kälte? Glücklicherweise ist der Motor lauter als alles knacken und Knirschen. Meter für Meter fahren wir übers Eis. Immer näher kommt der Hafen. Wir kamen unbeschadet rüber. Auf die Insel durften wir allerdings nicht. So gingen wir zum Hafenmeister und mieteten einen Liegeplatz, wo wir dann unser Auto abstellten. Also neben dem Steg banden wir es an. Das war das Lustigste der ganzen Tour. Nun auf der Insel verstand ich schnell die Weisheit, der Weg ist das Ziel. Hier war’s kalt und keine Tür öffnete sich uns. Na ja, ich hab‘s jetzt auch nicht mit Kling Glöckchen klingelingeling probiert. Aber hier ist alles angebunden. Definitiv nix los. Wir Jungs stöbern ein bisschen im Eiskalten herum. Ich denke an die Tour zurück. Also auf nach Hause. Habt ihr irgendeine Idee, wie man sich fühlt, wieder auf der Straße zu fahren? Das ist echt geil.

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