Seedorf (1) 🇩🇪

Rügen

Das lange Wochenende steht vor der Tür. Noch etwas unschlüssig, steht immer noch der lang gehegte Wunsch von GG im Raume, einmal Deutschlands größte Insel, genannt Rügen, in Augenschein zu nehmen. Gewarnt wurden wir davor, dass viele des Lockdowns müde, sich auf den Weg machen werden. Ungeachtet dessen finden wir uns wieder auf Ostdeutschlands Route 66, genannt B96. Diese Bundesstraße schlängelt sich von Sachsen aus in Richtung Ostsee. Ich kann nicht sagen, dass es berauschend anfängt. Vor Nassenheide steht alles. Klar ist der Wald gar schön anzusehen. Der Bäume Grün berauschend. Doch im Hinterkopfe rumoret immer noch der Wunsch einmal anzukommen. Einer meiner Wünsche bei dem Kauf eines Campers bestand darin, diesen immerfort gärenden Gedanken endlich zu killen. Doch wieder fallen wir in dieses Muster. Wie wäre es schön kein anderes Ziel zu haben als den eigentlichen Weg. So würden wir nicht verdrießen zu stehen hier, in dieser Ansammlung ehrwürdiger Bäume. Nach Nassenheide gestaltet es sich etwas freundlicher. Ich meine bewegungstechnisch. Kilometer um Kilometer kommen wir dem Ziel näher. Liebliche Landschaften ziehen an uns vorbei, ohne dass wir diesen größere Beachtung schenken. Klar, wenn ich jeden wunderbaren Blick vertiefen würde, gefolgt von einer kleinen Wanderung, würden wir heute nicht über Gransee hinaus kommen. Was wäre schlecht daran? Wahrscheinlich nichts außer, dass es so kam, ohne unserer Planung gerecht zu werden.

Nach ein paar Unstimmigkeiten wie denn die Reise weitergeht und warum und wie lange, landen wir kurzerhand bei dem Flecken Seedorf.  🌍  In der Marina kann man für 15€ die Nacht stehen. Bekommt 1kWh für 50¢ und ein Klo mit Dusche – warm. Allerdings sind dafür weitere 50¢ zu berappen. Das angeschlossene Restaurant war auch zum Teil verantwortlich dafür hier zu stehen. Den Platz klar gemacht, wurden wir dahingehend enttäuscht. Sie haben noch immer Beschränkungen und es ist alles voll, was sie dürfen. So gehen wir ins Dorf und checken die anderen Lokalitäten. Das gleiche in grün. Ohne Reservierung kein Platz. Ein Tisch in der hintersten Ecke und drinnen wäre noch möglich. Draußen scheint herrlich die Sonne und ich soll mich hinterm Ofen verkriechen. Auch wenn der Hunger an den Magenwänden naget.  Wir entscheiden uns dagegen. So stehe ich im BüS und koche.

Frisch gestärkt ziehen wir los, um die Gegend ein wenig zu erkunden. Der See ist weitestgehend vom Meer abgeschnitten. Nur diese dünne Furt im Orte verbindet ihn. Die Sonne beendet ihre Bahn und immer wieder höret man die Schmalspurbahn in Putbus ihren Überdruck geräuschvoll durch die Pfeife drücken. Neben uns gastiert eine Familie aus Greifswald, also eher einen kleinem Dorf dort in der Nähe. Die sind hier mit Boot und Wohnmobil. Gleich uns sind sie viel in der Welt unterwegs. Fahren Regatta oder durchs Land. Eine Kinderschar begleitet das Ganze. Ich hab nicht rausbekommen, wie viele es insgesamt sind.


Am Morgen treibet es mich aus den Federn. Noch ist kaum jemand wach im Orte. Als kleiner Bub oft in dieser Gegend, nehme ich die Veränderungen war und das was geblieben. Damals war der Norddeutsche ja nicht gerade dafür verschrien, zu viel zu reden. So sparsam er sein Leben in allen Belangen organisierte schloss er seine Kommunikation nicht aus. »Moin , gutes Fischwetter« mehr braucht es am Tag oft nicht. Na gut, abends im Anker musst du schon noch mal sagen »noch einen Piet« Was mir als Erstes auffällt, die Natur ist mehr gezähmt. Vor der Schilfkannte, heute Rasen. Ursprünglich wuchs da ein in seiner Mannigfaltigkeit kaum zu unterbietendes Konvolut von allem was der Herr so erfunden. Die Pusteblumen zwischen dem alten Pflaster – heute Geschichte. Auch das Pflaster an sich hat sich gewandelt. Aus den händisch beschlagenen Brocken harten Granits sind heute schmucklose Betonformsteine geworden. Alle gleich, alle eben. Schaust du so über die in geometrische Formen gepresste Natur fallen dir die unzähligen gelben Tafeln auf mit der Inschrift ⊗ betreten verboten ⊗ wie würd sich der alte Piet wundern würd er das heut sehen … mensch Klasen, wat soll de Schitt.

Kaum einen Zaun hab ich in Erinnerung. Oft lag nur ein Findling an der Ecke und jeder wusste, ab hier isset dem Hansen seins. Nein Heute ist alles verboten. Wie würd ich vermissen das rumgetolle durch die Gassen und über fremde Höfe. Damals gingen wir Montags raus und wurden dann so zwei Monate später wieder rein gerufen. Sommerferien halt. Ab und zu mussten wir alle mal ran. Wenn der Mähdrescher kaputt auf dem Feld stand, wurden alle Hände gebraucht. Wenn ich heute drüber nachdenke, haben wir auch gar nicht drüber nachgedacht ob uns das nun gefällt oder nicht. Die Arbeit musste getan werden, und gut. Zurück ins heute. Die Leut sind schon sehr viel gesprächiger geworden. Sicher durch den Zwang, vom Tourismus abhängig zu sein. Auch sieht es alles viel aufgeräumter und gepflegter aus. Ohne pessimistisch zu klingen und in den Tonfall zu verfallen, früher sei alles besser, fehlt mir hier der Hauch von grenzenloser Freiheit und selbstverständlicher Toleranz der anderen, ohne das man Schilder Zäune, Absperrungen, Ketten, Schlösser braucht. Klar gab es auch Grenzen, aber nicht für uns Kinder. Dem ist wohl zuzuschreiben, dass ich ein profunder Liebhaber der Freiheit geworden bin. Wer nur hat das alles verdorben in einer Gegend wo früher die Türen nicht abgeschlossen?  Es werden wohl die vielen Leut gewesen sein, welche nicht mit den Gepflogenheiten vertraut. Dann wird’s auch dem unemontionalsten Fischkop irgendwann zu viel , nun haben wir diese Lösung.

Ich gehe die einzige Straße durchs Dorf und suche den Bäcker. Fehlanzeige. Leider geschlossen. Noch immer im Gestern denke ich darüber nach, wann jemals der Dorfbäcker nicht geöffnet hatte. Der ist doch jeden Morgen um 4 aufgestanden, bis er denn tot umgefallen ist. Was war das für eine Freude ein Brot zu holen. Da kamst du als Kind an, wurdest mit in die Backstube genommen, hältst dein Netz auf und der Bäcker fisch mit einer langen Stange ein Brot aus dem Ofen. Meine Großmutter ermahnte mich jedes Mal, das Brot nicht anzuknabbern. Es half nichts. Kaum ein paar Meter die naturbelassenen Granitbrocken der Hauptstraße entlang gestolpert, von dem Geruch überwältigt. Ich musste einfach meine kleinen Finger oben in die Kerbe des Brotes stecken und etwas herauspolken. Dann kam noch ein anderes Kind des Dorfes… letztendlich war ein gehöriges Stück der Brotkruste irgendwie verloren, wenn ich im heimischen Hof anlangte. Kurz scholt mich meine Großmutter. Doch jedes Mal aufs Neue schickte sie mich zum Bäcker, wenn das Brot zur Neige ging. Noch heute denke ich sehnsüchtig an diesen Genuss, auch wenn heißes Brot nicht wirklich verträglich. Damit hatte sie also recht, doch nie gestand ich ihr. Ich verhaspele mich schon wieder in der Vergangenheit.

Wir fahren runter an den letzten Zipfel der Insel, genannt Zicker. An dem Parkplatz wo die Straße Richtung Mönchsgut abbiegt, stellen wir unseren BüS ab.  🌍 Erst mal das Meer. Die Sonne strahlt, was sollt sie denn sonst machen. Schuhe aus und durch den Sand. Genau so muss es sein. Die Wassertemperaturen sollte man nicht mit denen des indischen Ozeans in irgend eine Relation bringen zu versuchen. Baden ist hier nur etwas für Wickinger.

Wir wollen eine Wanderung Richtung Gager machen. Erst einmal geht es die Straße entlang. Rechts und Links weite Ebenen. Kaum etwas was den Blick verhindert. Trotz allem ist es nicht wahnsinnig faszinierend neben einer Straße zu laufen und aufzupassen, nicht von einem Fahrradfahrer umgenietet zu werden.

Doch schon nach 10 Minuten führt der Weg weg von der Straße rauf auf den Bakenberg. Diese Bezeichnung eines Hügels findet man hier öfter. Glücklicherweise werde ich, angekommen auf dem Gipfel, darüber informiert warum. Auf den Erhebungen wurden Baken installiert um den Barken im Meer den Weg zu weisen. Bei der Namensgebung wurde nicht so ein Gedöhns gemacht wie heute. Der Berg worauf die Bake steht heißt einfach Bakenberg. Von der Globalisierung noch weit entfernt, gab es keine Verwechselungen.

Rundherum ein Wechselspiel von Land und Wasser. Ich erinnere mich einer kleinen Mer. Als Gott die Welt erschuf und mit seinen Händen das Land formte, stand er nach getaner Arbeit da und betrachtete sein Weg. Was nun mit dem dreckigen Händen? Einfach mal abschütteln. So entstand die Insel. Hier ist nichts nach geometrischen Formen. Dünne Landzungen, mäandernde Küstenlinien.

Von hier oben auf höchster Höh, immerhin 66 NN, gehen wir runter nach Gager.

Schafe weiden das Gras der Hügel. Wolken malen Streifen in das Blau über uns.

In Gager naget der Hunger an unseren Magenwänden. Ich schreib mal nicht die Qual. Wir ohne Bargeld unterwegs, weil in Berlin keiner mehr Pinke Pinke will, bekommen nichts. So ziehen wir hungrig weiter. Erst geht es durch die Ausläufer des Ortes. Links Häuser. Rechts das Meer und die uns von ihm trennenden Verbotsschilder. Plötzlich geht es weg von der Küste. Ich bin verwirrt. Nach Übersteigung einiger Hügel geht es wieder zurück zur Küste.  Wir gelangen an das Nonnenloch. Ein kleiner Pfad führt die Küste hinunter.

Was gibt es hier zu tun. Ich mache mich auf die Suche nach einem Hühnergott. Nicht lange und die Aufgabe ward erledigt. Jetzt müssen wir sehen zum Wagen zurück zu kommen, streifen Rapsfelder, bevor wir in Groß Zicker anlangen. Auch wird hier unser Hunger nicht gestillt werden. Zwar ernten wir mitleidige Gesten in der netten Fischverkaufsstelle. Welche jedoch nicht vermögen unser Verlangen zu stillen.

Am BüS angekommen, mit knurrendem Magen und dampfenden Schuhen, wird erst einmal der Herd aktiviert. Spargel, Schinken, kleine Kartoffeln in Butter geschwenkt ist der Lohn. Mehr braucht es nicht und doch erfreut eine weite Blumenwiese unsere Augen.

Auf dem Weg zurück nach Seedorf, ja wir haben uns den Platz für eine weitere Nacht, begegnen wir noch dem rasenden Roland.

Ein kurzer Stopp in Sellin. 🌍 Wir flanieren auf der Wilhelmstraße Richtung Seebrücke.

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