Osteuropa 🇨🇿🇭🇺🇷🇴🇧🇬

Im Osten Deutschlands von einer großen Reise zu sprechen bedeutete andere Dimensionen als jetzt. Wenn ich es mir recht überlege, konnte man schon damals sehr weit fahren. Sicher nicht ohne ein paar Schwierigkeiten, aber durchaus möglich. Die Richtung war hierbei schon vorgegeben. Als westlichstes Land des Vereins ging es nun mal nicht weiter in diese Richtung. Für Bewohner dieses vergangenen Konstrukts stellte sich eine Reise zum Rande des Landes schon als eine größere dar. Komisch, wenn der Horizont dir gekappt wird, ist es wohl eine Art Schutzfunktion deiner Seele, nicht darüber zu lamentieren. Ein jeder hat sicher eine Weltkarte zu Hause. Diese Orte zu besuchen kam gar nicht infrage und so machte man sich auch keinerlei tiefgreifenden Gedanken darüber. Vergleichen wir es mit dem obervoltaischen Wüstendattelpflücker der täglich bestrebet ist, sein Land aufzubauen. Oder auch nur um was zu Essen zu haben für seine Mannen. Sosehr er auch durch die Sahelzone reiset, von Baum zu Baum. Er wird keinen Gedanken darin verschwenden, zu überlegen, wie man am komfortabelsten nach Bagdad reist. Mit den Möglichkeiten sinkt auch der Radius.

Eine Chance, eine solche Reise auch zu erhalten, steigt und fällt mit deinem sozialistischen Engagement. Das stellt sich im ersten Moment etwas suboptimal für mich dar. Kennst du aber das System, jemanden, der Steckdosen oder Bananen hat, verbessern sich deine Optionen dramatisch. Welche Frau hinter dem Reisebüro Tresen kann schon widerstehen, wenn du Ihr eine Rolle Kupfermantelleitung 3×1.5mm² auf den Tresen packst, welche ihr geliebter Mann schon seit Jahren vergeblich versuchte, für des Heimes Wohnlichkeit zu „organisieren“. Schwups, hatte ich die Zusage, in Bulgarien ein Hotelzimmer buchen zu dürfen. Auch wenn unser geliebter Staat uns in politischer Hinsicht zu führen versuchte, ließ er uns oft, selbstverständlich vertrauend auf unsere improvisatorischen Überlebensfähigkeiten, auf uns selbst gestellt. Als Nächstes versuchte ich, einen Flug zu buchen. Das war einfach viel zu teuer. Kurz entschlossen buchte ich nur einen sehr billigen Inlandsflug und den Flug zurück. Mehr war mit meinem Budget nicht drin. Hin mussten wir mit dem Zug. Der kostet fast nichts, was sich aber auch in dem Komfort und der Zeitverschwendung widerspiegelt.

Für Jugendliche gab es einen Verein, der sie schön sozialistisch zusammenführen sollte. Ich als politischer Tiefflieger bin da nie eingetreten, aber auf komische Weise Mitglied geworden, wie auch in allen folgenden staatlich geprägten Geheimbünden. Gut. Als Mitglied eines solchen Vereins stand es dir offen, einen Antrag auf eine Reisemöglichkeit in die sozialistischen Nachbarstaaten einzureichen, bei einer Organisation, die sich Jugendtourist nannte.

Hoffend, dass mein Vaterland keine großen Verlustängste um meinetwillen hat, stelle ich den Antrag auf Ausreise aus der DDR. Definiert war der Reiseverkehr in unseren Bruderstaaten ja als Visa frei. De facto musste man ͼ Reisebegleitpapiere ͽ beantragen. Im Prinzip nichts anderes als ein Visa mit neuem sozialistischen Namen. Gleich dem Schoko-Weihnachtsmann welcher die offizielle Bezeichnung ͼ Jahresendholfigur ͽ erhielt.

Berlin, oder fast

Wir vier Jungs im besten Alter stehen auf dem Bahnsteig des schönefeldschen Bahnhofs und warten auf den

PANNONIA-EXPRESS . 🌍 7

2 Stunden liegen vor uns. Grandios. Das ´Express´ im Namen kommt einzig daher, dass ein Teil der Strecke dem Orient-Express-Netz zuzuordnen ist. Verglichen mit dem rasenden Hamburger trifft eher die Bezeichnung Bimmel-Bahn auf diesen Zug zu. Aber wer schreibt so was schon ins Kursbuch. Auf keinen Fall unser stolzes sozialistisches Vaterland.

Unser Liegewagenabteil zeichnet sich durch den Charme von zweimal je drei übereinander angeordneten Kunstlederliegen in Reichsbahngrün aus, obgleich der Eigner des Wagons ein bulgarisches Unternehmen ist. Wir beziehen unsere neue Heimstadt. Gute Laune zum bösen Spiel. Als ich die resignierten Gesichter sehe, versuche ich die Stimmung ein wenig zu heben. »Ich habe zwei Flaschen Schnaps dabei« werfe ich in die Runde. Die Drei anderen schauen mich verwundert an und sagen ein jeder: »Ich auch« Ich schieb hier mal ein, dass ich eigentlich so gut wie nie Alkohol in dieser Form zu mir nehme. Meistens kann man aber in den sozialistischen Verwaltungszonen ´ne ganze Menge damit anfangen. Was hatten wir nun alle in den Riesenrucksäcken? Eine dünne Isomatte und ein Schlafsack. Dazu ´nen Wechselschlippa und die Zahnbürste. Ansonsten nur noch Sachen, die man als Handelsware gebrauchen könnte. Kaffee, Seife, Kaugummi, Zigaretten, Schnaps, Süßigkeiten. Genial und ich dachte, einzig ich hatte diese Idee. In Dresden werden die zwei obersten Liegen von einem jungen Paar eingenommen. Auf geht’s ins Ungewisse.

In der Sächsischen Schweiz jagen sie uns erst mal alle aus dem Zug. Grenzkontrolle! Brudervölker? Von Wegen. Wir stehen irritiert draußen und warten. Und was passiert? Ein wenig Wasser fließt die Elbe abwärts. Sonst nichts. Ich vermutete, dass sie das Gepäck durchstöbern und Dokumentkontrolle machen. Nein. Der Zug steht da und wir davor. Es mögen so zwanzig Minuten vergangen sein, als der Schaffner trillert. Alle schauten unschlüssig nach vorn. Tja, dann steigen wir halt wieder ein. Was sollte diese Aktion? – was weiß ich – ´is halt Sozialismus.

Tschechoslowakische Sozialistische Republik 🇨🇿

Am frühen Morgen in der Tschechoslowakei überkam mich der leichte Wunsch nach frischem Backwerk. Der schlitzohrige Bulgare, genannt Pufferpaul, der hier im Zug schaffnerte, versuchte allerhand Essbares dem notdürftigen Reisenden zu verkaufen. Die Preise überstiegen bei weitem den Einheitsverkaufspreis und auch das statistische Mittel für das Angebotene. Ich überlegte, eine Packung von meinen mitgeführten Gummibären zu öffnen.
Der Zug fuhr durch einen kleinen Ort. Langsam kroch er am Bahnsteig entlang weil ein Halt hier nicht vorgesehen ist. Dann rieche ich es. Lieblicher Duft von frisch Gebackenem erreicht meine Nase und löst eine Sehnsucht in mir aus die Ihresgleichen sucht. So traumatisiert rollen wir, ich den Kopf aus dem Fenster, langsam an dem Bäcker vorbei als gerade ein junger Mann aus diesem kommt. Der schaut mich an, verharrt kurz und beginnt zu rennen. Folgend wirft er seine Tüte mit den leckeren Backwaren durch unser Fenster. Ich total verwirrt, beginne dankend zu winken bis er am Horizont verschwindet. Man o man, müssen wir ausgesehen haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Zunge rausgehängt hatte. Wie auch immer. Ich werde diesem Jungen mein Leben lang dankbar sein und es niemals vergessen. Wie schön kann das Leben sein. Wir genießen die leckeren Backstücke und freuen uns. Neidisch schaut Pufferpaul durch die Abteiltür. Nein er bekommt nichts!


Der Zug zieht durch die Landen. Schwelle um Schwelle kommen wir dem Ziel näher. Die einzige Abwechslung sind die Pass- und Zollkontrollen mitten im Land. Ständig kommt jemand durch in Uniform und will irgendwas. Da soll einer durchsehen.

Kurz nach dem Halt in Bratislava läuft jemand etwas irritiert durch den Zug. Ein Schweizer hat den falschen Zug genommen und wusste nicht, was nun passiert. Er bräuchte erst mal was zum Rauchen. Ich hau irgendwie raus, dass ich etwas dabei hätte, wobei ich nicht wirklich den Wunsch verspürte, schon jetzt meine Handelsware zu verticken. Der Kerl holte all seine Münzen aus den Taschen und drückte sie mir in die Hand. Mist. Ich konnte nicht anders. Auch wenn er mir nicht so super sympathisch war, tat er mir leid. Ich gab ihm eine Schachtel. Als er abgezogen war, schaute ich in meine Hand. Was hatte er mir da eigentlich gegeben? 2,25 Franken, 8 Schilling, 1,75DM, 23Kronen. Super Rubelmix, aber kein schlechtes Geschäft! Mit den Devisen lässt sich bestimmt noch was anfangen.

Ungarische Volksrepublik 🇭🇺

Mitten in der Nacht erreichen wir Budapest. 🌍 Die Backstücke sind nun langsam durch und auch alles, was wir als Notverpflegung dabei hatten. Ein Hungergefühl macht sich breit. Der planmäßige Stopp beträgt 10 Minuten. Genau vor unserem Fenster, die Treppe runter, ist ein Burger-Grill. Zehn Minuten sind zu knapp und das Risiko zu groß, den Zug zu verpassen. Der Geruch zieht durch unsere Nasen und erreicht die Magengegend. Sättigend ist das nicht. Was soll ich noch groß herumreden? Wir standen zwei Stunden vor dem Grill, mit knurrendem Magen. Die ganze Zeit sollte es „gleich“ weitergehen. Wir waren durch. Was sollen wir machen? Sch.. was. M holt seine Flasche Schnaps raus. Halb und Halb. Ein widerliches Zeug. Passt exakt zu dieser Situation. Das war es nun. Der Anfang vom Ende. Im Nachhinein hatte es auch etwas Gutes. In Bulgarien hatten wir kaum noch was im Rucksack, überlebt und dazu ein paar neue Kontakte geknüpft.
Mit dem Geschmack des Gesöffs ein wenig überfordert, stellten wir uns in den Gang. Die Nachbarabteile wurden eingeladen, an dem Genuss der Flasche teilzuhaben. Das führte natürlich dazu, dieses in ein großes Gelage abgleiten zu lassen. Ein jeder holte seine stillen Reserven raus und verteilte sie großzügig im Gang. Wir bekamen was zu essen, die anderen was zu trinken. Lustig war es auch noch.

In der Nacht musste ich mal raus. Jeden an diesem Ereignis teilhaben zu lassen ist nicht wirklich meine Art. Aber es hing ein verzweifelter Humor fest in den Gängen unseres Waggons, sodass ich nicht anders konnte. Laut rief ich: »Pasport Kontrol!« In jedem Abteil Gebrummel und alsbald ragten die Reisepass haltenden Hände schlaftrunken durch die Abteiltür in den Gang. Ich sammelte erst mal ein paar ein. Mal sehen, wann die das merken. Keiner hat es gemerkt. Die sind einfach wieder eingeschlafen. Unter erstaunten Blicken verteilte ich am nächsten Morgen die Pässe.

Die Gleise werden immer schlechter. Den Zug rüttelt es gewaltig hin und her. Gepäckstücke kullern durch die Abteile. Die Meisten nehmen es mit sozialistischem Gleichmut. Ich wiederum kann nicht schlafen.

Sozialistische Republik Rumänien 🇷🇴

Klar ist bekannt, dass hier die Sterntaler noch nicht gefallen sind.  Der Sozialismus wird’s schon richten.

In Arad stehen wir stundenlang herum. 🌍 Am Zug läuft ein Arbeiter unmotiviert von Achse zu Achse. Haut mit einer Eisenstange schier planlos auf das Fahrwerk. Ein Zweiter kommt hinzu und es wird erst mal eine geraucht. Langsam setzt sich das Duo wieder in Bewegung. Der Eine klopft, der Andere schaut. Ich hüpf aus dem Zug und frag, was die da eigentlich machen. Wir kontrollieren den Zug auf seine Verkehrstüchtigkeit – sieht man das nicht. Na ja, ich wollte noch irgendwann weiter und so sagte ich: »Klar – Macht mal ’ne Pause« Das taten sie. Gegen Abend ging’s weiter.

Abwesend schaue ich aus dem Fenster. Gleich wird ein Ort kommen. Der Zug hupt ca. 7 Minuten vor jedem Ort wie verrückt, damit die bettelnden Kinder genug Zeit haben, zum Gleisbett zu kommen und dort mit bloßen Füßen über den Schotter, parallel zum Zug zu rennen um ein Stück Seife von den damit Reisenden zu erbetteln. Ich schmeiß nichts mehr raus. Ich habe noch was in meinem Rucksack, aber ich habe Angst, dem Kind passiert was.
Ein paar Stunden früher: Wir fuhren langsam eine langgestreckte Kurve entlang. Ein kleines Mädchen stand schüchtern auf dem Nebengleis. Barfüßig und in einem Kleid sicher als Zweit- oder Drittragende. Die Haare wellig und in alle Richtungen strebend. Die Augen aber leuchteten hell und der Mund formte ein erwartungsvolles Lächeln. Ich schnappte ein Stück Seife und eine Tüte Gummitiere und schmiss sie aus dem Fenster. Das Mädchen strahlte und war dabei sich zu bücken, als eine Horde älterer Jungs aus dem Gebüsch stürmte, um sich meine Gaben zu schnappen. Das kleine Mädchen rannten sie einfach über den Haufen. Sie landete mit dem Gesicht im Schotter. Mühsam stand sie auf. Blut lief ihr über das Gesicht. Eine Träne der Hilflosigkeit spülte etwas davon herunter. Dann verliere ich sie aus den Augen. In meinen Erinnerungen ist dieses Bild fest eingebrannt.  

 

Zurück zu meinem Blick aus dem Fenster. Es wurde mit jeder Minute gelber. An den Leitungen entlang der Strecke hingen irgendwelche gelben Flocken. Das machte mich neugierig. Was ist das bloß? Dazu kam ein immer größer werdender Gestank. Alles im Ort war mit einer gelben Schicht versehen. Hinten im Tal spie ein Schlot ein gelb-graues Gemisch in den Himmel. Fürchterlich! An den Dächern, Eiszapfen gleich, lange Gebilde aus gelben Fusseln. Ein paar Kilometer weiter wurde es plötzlich immer schwarzer. Schwarzes Gras wurde von eingestaubten Kühen gefressen. Jedes Wedeln mit dem Schwanze, stieb schwarzen Staub in die Höhe. Frisch gewaschene Wäsche hing auf Leinen zum – schwärzen?!

Als wir in die Mitte des Talkessels kommen, fangen wir an zu husten. Atmen ist kaum noch möglich. Hunderte dicke Schlote spucken eine dicke Rauchwolke unaufhörlich in die Luft. Auf dem Bahnhof steht ein Denkmal. Die Bahnsteige, das Wärterhäuschen, die Bänke, alles ist mit einer zentimeterdicken Rußschicht bedeckt. Als ich an der Statue bin, sehe ich, es ist ein kleines Kind. Ein Wischer mit seiner Hand über das Gesicht hatte etwas Haut zu Vorschein gebracht. Fußspuren ziehen sich deutlich abzeichnend durch die Rußschicht, bis in die Stadt. Wie kann man hier bloß leben? Ein Mitreisender erzählte mir, dass es noch eine weiße Stadt gäbe, welche ich aber verpasst hätte. Mir tat es nicht leid, eine dieser bunten Städte verpasst zu haben.

Die Landschaft wird flacher. Draußen sehe ich einen einsamen Bauern auf einem schier grenzenlosen Feld, welches er mit einer gewöhnlichen Hacke beackerte, um es von des Unkrauts Übermacht zu befreien. Die Sonne brannte erbarmungslos. Entgegen meinen Vorsätzen schnappte ich mir eine Flasche Limonade und schmiss sie aus dem Fenster. Ein erstauntes Gesicht war die erste Reaktion. Dann öffnete sich breit der fast zahnlose Mund in dem Sonne gegerbten Gesicht. Den gebeugte Rücken, soweit es ging, streckend, bedankte er sich mit glänzenden Augen und ständigem Winken, bis er mit dem Horizont verschwamm. Wenn ich hierfür keine Karma-Punkte bekommen habe – weiß ich auch nicht. 

Ein paar Schwellen weiter plötzlich ein Gepolter im Abteil neben uns. Wir treten in den Gang, als gerade ein paar ärmlich gekleidete Gestalten aus diesem kommen und mit einem beherzten Sprung den Zug verlassen. Was ist geschehen? Ja, unser Nachbar hatte seine leere Zigarettenschachtel den bettelnden Leuten rausgeworfen. Diese bedankten sich auf ihre Weise für diese wertschätzende Geste. Sprich – dafür gab’s was aufs Maul.

Kurz vor Bukarest standen wir die Nacht herum. 🌍 Um den Zug gruppierten sich Kinder, welche durchaus erfreut waren, wenn du etwas aus dem Fenster reichtest. Ich wurde wieder weich. Sehr darauf bedacht, den am ärmsten aussehenden Schüchternen etwas zukommen zu lassen, lockte ich diese mit kleinen Gesten etwas abseits der Gruppe, um meine Sachen zu übergeben.

Um uns herum waren viele Gleise. Ich versuchte immer, die Kinder auf den Zugverkehr aufmerksam zu machen. Sie winkten nur ab und zeigten auf das Gleis, welches der kommende Zug nehmen wird. Die kannte den Gleisfahrplan auswendig. Hoffend, dass es keine Änderung in der Gleisbelegung geben wird, verließen wir nach drei Stunden langsam diesen Ort.

 

Народна република България 🇧🇬

Donau – wie breit ist dieser Fluss hier? 🌍 So einen breiten Fluss habe ich noch nie gesehen. Schier endlos ist die stählerne, wie auch einzige Brücke über den Fluss.

Kaum auf der anderen Seite angekommen, dürfen wir uns erneut einem Grenzkontrollritual stellen. Unsere beiden Dresdner müssen hier den Zug wechseln. Wir haben massig Verspätung und deren Anschluss geht in 10 Minuten. Keiner darf aus dem Zug, es sei denn, er möchte eine rauchen. Grenzkontrolleure stehen an den Türen. Der Zug gegenüber wird langsam zur Abfahrt fertig gemacht. Die Dresdner – nervös. Ich schick sie raus zum Rauchen. Fragende Blicke. Nun macht schon! Wir schmeißen euer Gepäck aus dem Fenster. Gesagt wie getan. Beide schlendern raus, ein jeder mit einer pro forma Zigarette in der Hand. Kaum merklich entfernen sie sich von der Tür in unsere Richtung. Unter dem Fenster angekommen, reichen wir die Rucksäcke raus. Just in dem Moment pfeift der Schaffner den gegenüberliegenden Zug. Beide springen im letzten Moment hinein und winken uns nach. Die Grenzbeamten erkennend der Situation, stürmen den Zug. Wir sitzen gemütlich in unserem Abteil und spielen Karten. Auf die Frage ob die Flüchtlinge bei uns mitfuhren, schütteln wir nur ahnungslos die Köpfe. (Die oberen Liegen hatten wir vorsorglich eingeklappt) Ergebnislos stiegen die Grenzbeamten aus dem Zug. Wir sollten deren Frust noch zu spüren kriegen. Nicht mit uns! Bei der Aufforderung alle unsere Sachen auszupacken für die Zollkontrolle, machten wir so ein umständliches übereinander her klettern, dass nach 5 Minuten noch kein Teil aus den Rucksäcken herausgebracht war. Es sah sicher sehr motiviert, aber völlig dumpfbackig aus. Der Zollbeamte hatte von unserer Unfähigkeit die Schnauze voll, schimpfte etwas auf einer uns glücklicherweise unverständlichen Sprache und ging. Wir stoppten unsere Performance und grinsten.

Unglaublicherweise erreichten wir tatsächlich irgendwann Sofia. Endstation dieses Zuges. Nicht das Ende unserer Zugfahrt. Weiter ging es mit einem lokalen Zug in die Berge. Blagoewgrad war unser Ziel. Zwei der Jungs aus dem Zug hatten sich uns angeschlossen. Ein halber Wikinger, den bestimmt nichts so schnell aus der Bahn wirft und sein Kumpel, der das erste Mal unter Mutterns Decke hervorgekrochen ist.


In Blagoewgrad angekommen nimmt uns der Bus nicht mit. 🌍 Wir versuchen es mit einem Taxi. »Kein Problem! Er kommt gleich. Wartet einfach hier.« So stehen wir neben dem Bahnhof und warten das ‚gleich‘ wird. Nach zwanzig Minuten habe ich die Schnauze voll hier mit dem Rucksack auf dem Rücken rumzustehen. Ich hau mich auf ´’ne Bank in der Nähe. 30 Meter entfernt steht ein Häuschen und ein Jeder der da rauskommt, sieht etwas zweifelnd aus. Ich schau mir das weitere 45 Minuten an, bevor meine Neugier es nicht mehr aushält. Was ist da? Ich rappele mich hoch und geh über die Wiese. Wie beschreibe ich das nun. Hinter dem Eingang kommst du in einen ca. 3 mal 3 Meter großen Raum. Auf der einen Seite sind so Holztüren, die wahrscheinlich schon auf der Santa Maria ihren Dienst als Kajüten-Tür taten. Direkt über mir, also über der Tür, die in diesen Raum führt, hängt das Ende eines armdicken schwarzen Gummischlauches, welches in vollem Schwall das austretende Wasser an die gegenüberliegende Wand spritzt. Dort weicht es der Wandes Härte folgend, in alle Richtungen. Der ursprünglichen kinetischen Energie beraubt, sammelt es sich nach einigen Reflexionen, der Gravitation ergeben, auf dem Boden des Raumes. Flächendeckend fließt es unter die vormals erwähnten Türen auf nimmer wiedersehen. »Ach – ein Klo« schießt es durch meine Gedanken. Die Gelegenheit nutzend öffne ich im Türrahmen stehend meine Hose und… Da konnte man einfach nicht ohne Gummistiefel rein. Auch ich komme aus dem Häuschen, mit einem Grinsen. 60 Minuten später ist endlich ‚gleich‘, da das Taxi kam.

Rila Gebirge

Gleich neben dem Kloster ist ein Zeltplatz.

An dessen Eingang steht Jemand der uns ein Heidengeld für einen Stellplatz abknöpfen will. Ich deute ihm an, dass ich den Zeltplatz nicht kaufen wolle sondern nur ein paar Tage bleiben. Es half nichts. Er bestand auf den Betrag.
Zelt aufbauen ging schnell. Alles gut. Nun kommt der erholsame Teil. Feuer machen ist ausdrücklich verboten, interessiert hier aber keinen. Gegen Abend fahren alle in den Wald und kommen mit Ästen beladen zurück. Manche haben einfach halbe Bäume aufs Autodach gelegt. Rechts und links die Arme aus dem Fenster zum festhalten. Es geht. Ladungssicherungsvorschriften hin oder her. Bei den zerbeulten Dächern wird dann auch nicht mehr über Spaltmaßtoleranzen diskutiert. Ich brauch auch ein Feuer! Es wird langsam kalt. Der Wald direkt im Zeltplatzgelände ist mit kleinen Fetzen Papier gesprenkelt. Kein gutes Zeichen. Hier kann man definitiv nicht rein. Irgendwie haben wir noch ein paar Äste aufgetrieben. Teils durch Lese. Teils durch trennen vom Baum. Teils durch Schnorren bei den Anderen.
Ein paar Meter weiter zelten ein paar Ost-Mädels aus Ebersbach, die gerade versuchen ihren Spiritus Kocher in Gang zu bekommen. Sie tun mir leid. Da ich meinen Kocher schon des Öfteren total zerlegt, bot ich meine Hilfe an. Ihr Model ließ ein entscheidendes Teil vermissen, dünkte mich. Ich kenn ja nun nicht alle Konstruktionen. So reinige ich das Ventil und gebe etwas Druck auf den Tank. Ich frage nochmals, ob ich das wirklich anstecken soll. Breite Zustimmung zu dem Vorhaben. Sie seien hungrig und müssten nun endlich was essen. Ich halte das Feuerzeug an den Kocher. Kurz neben meinen Haaren vorbei schießt eine etwas 15 Meter hohe Flammensäule. Wau. Da kannst du aber nur Schnellkochen drauf machen. Mein Gefühl war doch richtig. Da fehlt eindeutig das Brennerelement. Gerade noch mal dem Feuertod entkommen, luden wir die Mädels zu unserem Feuer ein und bemühten uns ihr Essen warm zu bekommen. Um uns herum wurde es merklich kälter. Keiner wollte weg vom Feuer. Gegen halb zwei bin ich rein. Alles was ich dabei hatte übergezogen und in den Schlafsack. Wie werde ich das überleben? Besser gesagt, werde ich es überleben? Zusammengekringelt lag ich in meinem viel zu dünnen Schlafsack den Morgen herbeisehnend. Eiskristalle rieselten bei jeder Bewegung auf mich herab. Um sechs in der Früh hielt ich es nicht mehr aus. Raus, Bewegen! Die Innenwand des Zeltes war vereist. Toll! Dafür fahre ich in den Süden. Annehmend auf himmlische Ruhe, kroch ich aus dem Zelt. Ganz hinten am Ende der Schlucht war so etwas wie eine Demonstration. Alle standen dort herum. Jeder halbwegs integrierte Osteuropäer weiß, wenn Menschen in Gruppen zusammen stehen gibt es irgend etwas. Ich red´ hier nicht nur von Bananen. Ich red´ auch nicht von Freibier. In der Mangelwirtschaft ist schon ein Ausreißer aus dem Normal Anstellens Wert. Mein Jagdinstinkt folgend, untersuchte ich die Besonderheit dieses Platzes. 5 Minuten später wurde ich erhellt. Nicht nur mein Geist! Die Sonne kroch über den Berg und schien genau hier hin. Die verkrampften Gesichter um mich herum lösten sich und die energiesparende kompakte Körperhaltung wurde aufgegeben. Ja – das ist herrlich. Eine Stunde später erreichten die Strahlen den Platz unseres Zeltes. Schnell stieg die Temperatur auf 22 C. Ich untersuche erst mal die Sanitären Einrichtungen. Eine kleine aus Holz-Brettern bestehende Baracke. Hast du die Sichtblende hinter dir, knickt der Weg rechts ab ins Dunkel. Nur spärlich scheint ein wenig Licht durch die mit Kartoffelsäcken verkleideten Wände. Ein Meter weiter sehe ich nichts mehr. Der fürchterliche Geruch umschließt mich langsam und verätzt meine Nase. Raus! Hier geh ich keinen Meter weiter. Wer weiß wo ich lande. Gegenüber ist ein kleiner Bach. Gott sei Dank. Die Temperatur ist auch schon auf 27 Grad geklettert. Ich halte meine Hand in den Bach und zucke zurück.

Da kann ich auch nicht rein. Kaum über der Schmelztemperatur mit meinem energiearmen Körper. Ich würd’s nicht überleben. Schon damit abfindend keine Körperpflege zu machen, entdeckte ich an dem zweiten Schuppen ein abgeschnittenes Rohr, welches offenbar in den Fässern auf dem Dach endet. Ich überlege nur kurz. Nackte Körper sind in diesem Teil der Erde in der Öffentlichkeit nicht so sehr gerne gesehen. Mir egal. Runter mit den Klamotten und unter das Rohr. Wollig warmes Wasser strömt über meinen Körper. Was für eine Wohltat. Ein Mädel, etwa so in meinem Alter, kommt um die Ecke. Ich tue als ob es ganz normal wäre. Sie stockt kurz, schaut zum Mädchenwaschraum lächelt verschmitzt, ändert ihre ursprüngliche Richtung und kommt auf mich zu. Ich in Erwartung einer Belehrung, höre mir die für mich unverständliche Frage an und reagiere aus Trotz einfach nicht. Ist mir jetzt egal. Ich geh hier nicht weg. Erstaunlicher Weise bleibt die Schelte aus. Das Mädel zieht sich aus und stellt sich neben mich unter den Strahl. So stehen wir da, nackt, schauen uns noch mal kurz wissend in die Augen und genießen. Zu sagen gab es nichts. Merkwürdige Situation. Warum passiert das immer mir? Es war nicht das erste Mal, dass ich mich in so einer obskuren Situation wieder finde und wird auch nicht das letzte Mal sein. Demjenigen der seine Stereotype über die Ostdeutschen bestätigt sieht kann ich nur sagen, du hast keine Ahnung!

Die Duschmöglichkeit sprach sich schnell herum und keiner ging mehr in die ekligen Waschräume. Man arrangierte sich und nahm keinen Anstoß.
So gesäubert ging ich zurück. Was gibt es zum Frühstück? Nichts! Alles aufgegessen. Nun stellt sich unsere gestrige Nachbarschaftshilfe als Glücksfall dar. Die beiden Mädels hatten noch massig Essen da. Was haben die nur alles mit geschleppt. Auf jeden Fall steht Essensversorgung auf dem Platz eins unserer Liste. Im nahe gelegenen Kloster verkaufen die Mönche so einiges. 🌍 Das selbst gebackene Brot ist sehr lecker. Die Pfirsiche, welche offensichtlich die volle Unterstützung des geistlichen Vaters dieser Einrichtung genossen, waren riesig. Nachfolgend stellt sich meine Temperaturprüfung des Baches als Segen heraus. Wir schichten ein paar Steine um. Ein kleines Staubecken füllt sich. Dort hinein verfrachten wir all unseren Einkauf. Wohlig schwimmen die Pfirsiche und Melonen im Fluss. Die Temperatur außerhalb ist über 30 Grad. Nun los! Wir steigen den Berg an.
Ein schmaler Pfad schlängelt sich durch den nahen Wald. Ab und zu sehr steil und Steinig. Dazwischen wieder lange Strecken über Wiesen.

Mittagessen bilden die Riesenpfirsiche. Total Lecker in dieser Hitze. Kaum vorzustellen, was die Nacht wird bringen. Neben uns ein Steinhaufen. Plötzlich kommt von irgendwoher ein Riesen Hund. Er stoppt genau neben dem Haufen. Wir weichen nach Rechts aus. Der Hund immer auf der imaginären Linie vom Steinhaufen. Ok wir probieren es auf der anderen Seite. Nichts zu machen. Der Hund lässt uns nicht vorbei. Etwas enttäuscht steigen wir ab. Ein Bauer kommt uns auf einem Esel entgegen. Mir ist nicht klar wie dieses Tier diesen Weg bewältigen kann. Auf jeden Fall ist nun die Funktion des Hundes klar. Er bewacht die Schafe und das Grundstück. Wir hatten von vornherein keine Chance.

Zurück auf dem Zeltplatz zeigt sich uns ein ungewöhnliches Bild. Der frisch Abgestillte liegt auf dem Bauch und wird von seinem Kumpel mit Kreme geschmiert. Ja geschmiert! Wie eine Stulle. Mit einem Messer. Ich frage was passiert sei. Ja, er war erst mal einkaufen. Dann wollte er sich ein wenig aufwärmen. Dazu legte er sich in die Sonne und sei wohl eingeschlafen. Als er aufwachte hatte er schon diese Blasen auf dem Rücken. Ich denk bei mir »Wie doof muss man sein?« Mit dieser mehr als hellen Haut, die wohl noch nie einen Sonnenstrahl gesehen, den ganzen Tag in der Sonne rumliegen. Später erfuhren wir noch das Resultat seines Einkaufes. Zwei Flaschen Selbstgebrannter. Das hat er sich von irgendeinem Schwarzbrenner aufschwatzen lassen. Wenigstens schien der Abend gerettet. Das Zeug war nicht zu genießen. Wir haben´s echt versucht. Nichts zu machen. Nur der neue Eigner musste seine Unerfahrenheit demonstrieren bis wir ihn abhielten, weiter sinnlos das Zeug in sich reinzulöten.
So vergingen die Tage. Tags über in der Hitze wandern und Nachts so lange wie möglich am Feuer, um nicht zu erfrieren.
Da die Busverbindungen etwas dürftig sind, beschlossen wir einen Tag bevor unser Flug zur Küste geht aufzubrechen. Ein herzliches Verabschieden von dem Rest der Truppe und auf geht´s. Eventuell sieht man sich ja mal wieder.

Sofia, ein nicht ganz lieblicher Part

Angekommen im Flughafen Sofia gegen 20:00 Uhr, stellte ich mich auf das lange Warten ein. 🌍 Solange die Möglichkeit bestand, wollte ich ein wenig erkunden, was den hier so geht um der Langeweile Unbill zu entkommen. Nach 5 Minuten war ich gewiss, dass keinerlei Ablenkung vorhanden. Keine Geschäfte, kein Imbiss, auf den Punkt gebracht, Nichts war offen. Also nur ein wenig die Beine vertreten in den verlassenen Gängen des Gebäudes. Gegen 21:00Uhr wurde das Licht heruntergefahren auf eine Leuchtstärke die vergleichbar ist mit einer Eisenbahnunterführung, bestückt mit einer kaputten Birne. Sehr mysteriös. Aber gut. Wenn man sparen kann, dann sollte man dieses auch tun. Die glimmenden Notausgangsbeleuchtungen wiesen mir den Weg zurück in die große Wartehalle. Die dortige Abfahrtstafel, noch die schönen alten mit den Klappbuchstaben, wies alle Flüge für den nächsten Tag aus ohne das jemand da wäre, der ihr Beachtung schenkte. Hier drinnen war es mir zu unwirtlich. Die Ausgangstür stockte abrupt meinen Bewegungsdrang. Die ist aber ganz schön verklemmt, dacht ich bei mir. Bevor ich Gewalt anwende und mir damit Probleme bereiten könnte, versuchte ich es an der Nächsten. Gleiches Ergebnis. Ich war gefangen. Die haben echt die Türen zugeschlossen. So zum absoluten Nichtstun verdammt, nahm ich auf einer Bank Platz. Starre gerade aus und konnte offensichtlich nicht verhindern, langgestreckt auf dieser Heimstadt in den Schlaf des Gerechten zu fallen.
Irgend etwas stört meine Ruhe. Langsam öffne ich die Augen. Durch die kaum offen zu nennenden Schlitze, sehe ich in 10 cm Entfernung direkt in ein düsteres metallisches Rohr, an dessen Ende eine kupferfarbene Spitze lauert. Schlagartig reiße ich die Augen auf. Irgend ein Geschreie dringt von meinem Ohr, welches gerade in Betrieb genommen, langsam vor bis in mein Kopf. Wo bin ich und was zur Hölle ist hier los? Ich krieg´s gegenwärtig nicht geordnet. Trau mich nicht zu bewegen. Versuche mit aller Macht aufzuwachen. Das ist kein Traum! Ist das ein Traum? Vor mir steht ein Vollbewaffneter. Sein Maschinengewehr auf mich gerichtet. Er tritt einen Schritt zurück und wettert die ganze Zeit. Ich verstehe nichts. Setze mich stocksteif hin und schaue gerade aus. Nur keine falsche Bewegung. Noch bin ich nicht bereit für das Himmelstor. Hoffentlich weiß mein Gegenüber darum. Er verstummt. Schaut mich an. Sagt sehr mürrisch, nein wütend etwas und geht. Ich sitze da. Schau gerade aus die Wand an. Was war das und was wollte er? Ich sitze so 5 Minuten in dieser Haltung. Keinerlei Bewegung. Nur das Herz schlägt überdeutlich. Starre gerade aus. Langsam taue ich auf und werde wieder handlungsfähig. Zaghaft drehe ich meinen Kopf. Wo ist er hin? Egal ich werde ihn suchen und versuchen zu fragen was er wollte. Hoffentlich honoriert er meine Bemühungen, nichts falsch machen zu wollen. Ich irre durch die dunklen Gänge, immer ahnend hinter der nächsten Ecke erschossen zu werden. Der Mann ist nicht zu finden. Im gegenüberliegenden Teil sitzt eine Gruppe Männer auf dem Fußboden um einen Gaskocher. In dem darauf befindlichen Top brodelt duftend ein Süppchen. Die Sprache kommt mir nicht fremd vor. Es sind ein paar Polen, welche es sich gut gehen lassen. Ich versuche in dem momentanen Durcheinander meiner Gehirnwindungen ein paar russische Wörter zu finden. Vergebens. Ist aber auch nicht notwendig. Sie sehen meine Verstörtheit und bieten mir erst einmal etwas Hochprozentiges an. Dazu noch eine Schale Suppe. So verbringen wir zusammen die Nacht. Mit ein paar Prozent auf dem Kessel wird die Verständigung leichter. Der Bewaffnete ist verschollen und langsam hoffe ich alles geträumt zu haben.
Gegen 08:00 Uhr werden die Pforten geöffnet und Hunderte strömen in die Halle. Wir gehen über das Rollfeld zu unsrer Maschine. Bei den Rädern schaut schon das Gewebe durch. Das ganze Teil sieht nicht vertrauenerweckend aus. Ich rechne laut durch wie schnell die Maschine ist, wenn sie aufschlägt. Hinter mir bemerkt ein deutsch verstehender Bulgare: »Wenn Motor noch an – dann schneller!« Recht hat er! Wie konnt´ ich das vergessen? Die Maschine zottelt über das Rollfeld und beschleunigt wie ein bockiger Maulesel. Tatsächlich hebt sie ab. Am Triebwerk direkt vor meinem Fenster löst sich ein Stück Metall und verglüht in der Atmosphäre. Ein ca. 5 Meter langes Kabel kommt aus der neu entstandenen Öffnung und flattert fröhlich im Winde. Ich klingele nach der Stewardess. Sie schaut aus dem Fenster und winkt nur ab. Ok – ich lehne mich zurück und überlasse den Rest meinem Schutzengel. Mehr kann ich hier nicht tun.


Laut Ansage werden wir bald in Burgas landen. Ich schaue aus dem Fenster. Kleine Häuser und eine Straße. Jetzt kommt das Meer. Klar sie fliegen vom Meer an. Es geht immer weiter raus. Einfach gerade aus. Und noch ein bisschen. Wo wollen die den bloß hin. Wir fliegen noch eine ganze Weile weiter bevor er anfängt zu wenden. Dann das ganze Stück wieder zurück. Ich erwäge in Erwägung zu ziehen, dass die Warteschleife hier eher eine Wartegerade sei. Als wir dann auf dem Rollfeld stehen, revidiere ich meine Idee.

Hier ist absolut nichts los. Am Ende der Rollbahn bleiben wir einfach stehen. Sie schmeißen uns raus und zeigen mit ausgestrecktem Arm zum anderen Ende der Startbahn. Unschlüssig folge ich der offensichtlichen Aufforderung. Die Koffer werden uns vor die Füße gestellt. Also los. Ahnungslos dem Ungewissen entgegen.

Schwarzmeerküste

Das Hauptgebäude des Intersozialistischen Flughafens Burgas begrüßt uns in seiner vollen Größe. 🌍 Ein Bushäusel am Rand der Rollbahn. Was machen wir nur immer für ein Umstand ums fliegen? Grad haben wir irgendwie keinen Bock auf Bus. Wann der kommt ist eh nicht klar. Ob wir mitkommen umso weniger. Da steht ein Lada. Sein Fahrer bietet offensichtlich unterhalb des steuerlichen Radars seine Dienste als Taxifahrer an. Also verhandeln. Der Typ ist echt kein großes Talent und offensichtlich auch kein Schlitzohr. Schnell sind wir einig. Einzig die Frage wie wir da alle rein passen sollen mit unserem Gepäck, scheint unbeantwortet. Na ja. Die Rucksäcke passen natürlich nicht alle in den Kofferraum. So wird dieser einfach offen gelassen und der letzte mit einem Fahrradgepäckgummi drauf gelegt. Die Konstruktion scheint mir nicht sicher. Der Fahrer wiegelt ab. Das hält! Unschlüssig steige ich ein. Wir sind ja immerhin eine Stunde unterwegs. Kaum vom Flughafen entfernt schlägt der Fahrer vor erst Mal bei ihm zu Hause vorbeizufahren und auf das gelungene Geschäft anzustoßen. Der fährt jetzt schon grenzwürdig und ich wollte mir nicht vorstellen wie es mit 3.8‰ auf dem Kessel aussieht. Wobei – man weiß ja nie. Wir lehnten ab. Auch wenn er seine Frau anpries als wenn er uns zu einem Schläferstündchen mit ihr einladen wollt. Eventuell war er aber auch einfach nur nett. Keine Ahnung. Ich wollte so schnell wie möglich aus dem Auto raus.
Den Rest der Fahrt überstanden wir ganz gut. Ich wurde immer entspannter. Auch wenn er komisch fuhr machte er dieses mit einer Sicherheit die mir vortäuschten konnte dieses Fahrverhalten geschähe mit vollster Absicht. Dazu war sein Redefluss nicht zu stoppen. Ok – Er ist sicher ´ne arme Sau aber eigentlich nett. Ich gab ihm einfach ein wenig mehr.
Kiten: 🌍
Unser Hotel war ein sozialistischer Plattenbau. Zwei schlauchähnliche Zimmer waren die Unsrigen. Blick auf eine niemals endende Baustelle. Das Haus gefüllt mit Familien die ihren Kindern einen Urlaub am Strand bieten wollen. Unsere nicht vorhandenen Sprachkenntnisse machten uns im Haus gleich bekannt. Der abgehalfterten Putzfrau haben wir erst mal eine kleine Tüte Kaffee in die Hand gesteckt, mehr Aufmerksamkeit beim Reinigen erhoffend. Nun los! Den Ort erkunden. Schräg gegenüber ist die Bushaltestelle. Super. Da können wir ja auch Ausflüge in die Umgebung machen. Weiter geht es die Straße entlang mit vielen kleinen Kiosken. Das war´s schon. OK. Lass uns mal schauen, was es gibt. Da standen nun 10 solche Hüttchen. Nach der Zweiten schlich sich langsam der Verdacht ein, jeder dieser Händler habe das gleiche Sortiment. Stichproben bestätigten die Vermutung. Der halbe Tag war rum und wir eigentlich schon durch mit dem Ort. Wahnsinn. Was mach ich die nächsten 13 Tage? Schau´n wir mal zum Meer runter. Auf dem Weg war eine kleine Gaststube in der sie Pommes offerierten wie ich sie noch nie gegessen. Wellenschnitt und am Fett Topf nur vorbeigeflogen. Klingt nicht lecker aber sie waren es. Etwas befriedet mit dem Ort gingen wir zum Strand. Das lässt sich durchaus aushalten hier. Hinter der Düne ist der Zeltplatz. Von da geht die Abkürzung in steilen Treppen die Klippen hinauf zu unserem Hotel.


Der Täglich Ablauf gestaltete sich nun so. Am Morgen erst mal in den Frühstücksraum. Auf dem Weg begegneten uns immer wieder ziemlich junge bulgarische Mädchen die uns an flirteten. Wir waren zwar selber erst kurz über die entscheidende Alterslinie getreten. Die Mädels waren auf jeden Fall noch darunter. Ich genoss dieses Ritual und gut. Nach dem Frühstück erst mal durch die Kioskgasse. Echt. Langsamen Schrittes damit die Zeit vergeht. Dann runter zum Strand. Mittag im Hotel, ließen wir oft ausfallen.
Mit der Idee Bier zu besorgen im Kopf streiften wir abends durch die Gegend. Irgend etwas wird immer und überall ausgeschenkt. Der hier offerierte in einem Hinterhof selbst gebrannten, ja was denn sonst, Anisschnaps. Scheint für mein Gusto eine etwas ungewöhnliche Verbindung darzustellen. Ach, probieren kann ja nicht schaden. So jung und gesund. Ich äußere meinen Wunsch den Schnaps mal probieren zu wollen. Er stellt einen etwas kleiner als gewöhnlichen Zahnputzbecher auf das Brett und nennt den Preis für dessen Füllung. Erstaunt erwidere ich, dass ich nicht die halbe Flasche trinken möchte sondern probieren. Plötzlich fällt in meinem Hirn der Groschen und ich sage: »сто грамм!« Der schaut mich total erstaunt an und beginnt Kopfschüttelnd zu lächeln. Hä, was hab ich gesagt? Der Typ kramt unter seinem Brett herum und endlich hat er ein kleines Schnapsglas gefunden. Dann teilt er allen in der Umgebung mein gewünschtes Volumen mit. Ein abschätziges Lächeln zieht im Kreis. Eh, 100 Gram um mal zu probieren, ist doch wirklich nicht wenig. Solche kleinen Gläser kommen hier keinem anständigen Alkoholiker auf den Tisch. Man hat ja wohl noch seinen Stolz. Ich kipp´ das Teil mit einem Mal in meinen Mund, um mir nicht noch eine Blöße zu geben. Stell das Glas auf den Tisch und verlasse diesen Ort. Stolz und erhobenen Hauptes. Den Mund voller Anisschnaps. Das Zeug ist echt ungewöhnlich. Ich spürte es noch immer, als ich es längst runtergeschluckt hatte. Der Geschmack von Anis war fest in meine Geschmackszellen eingebrannt. Ich brauche jetzt was anderes zum wegspülen. Ein Pole lief mir über den Weg als ich nach einer Bierverkaufsstelle fragte. Was für ein glücklicher Umstand. Man kann ja alles über Polen berichten, aber wenn es darum geht etwas zu einem guten Preis zu bekommen, sind sie die Richtigen. Er führte mich an einen Hauseingang wo der Besitzer polnisches Export-Bier verkaufte. Das Beste im ganzen Ort. Ich werde einer seiner Stammkunden werden. Selbst das beste polnische Bier konnte den Anis-Geschmack nicht vertreiben. Auch einer Portion Pommes hielt er stand. Werde ich je diesen Geschmack los werden, zweifelt es in mir.
Abends in der Strandbar traf ich Kasimir wieder. Er bot mir den Whisky an, den er gerade in der Hand hielt. Ich kipp das Teil in einem Zug hinunter. Er schluckte merklich bei dem Anblick. Ich sollte wohl nur mal einen Schluck nehmen. Das Teil war exorbitant teuer. 8 Lewa las ich in der Karte. (Auf Einkommensverhältnisse von 2017 umgerechnet sind das ~75€) Kasimir wiederum war nicht geizig. Er war mit Auto hier unten. Einem kleinen Fiat, Größe Smart. Den mitgeführten Hänger voller Waren hatte er erfolgreich unters Volk gebracht. Als er mich nun aufforderte seine Schwester zum Tanze zu bitten, konnte ich nicht nein sagen. Wir lachten viel und alles war gut. Auf den Weg zurück sangen wir laut das einzige Lied was politisch Grenzüberschreitend ok war und dazu noch alle kanten. »Es gibt nur ein Rudi Völler«
Am dritten Tag sahen wir am Strand jemanden der ein angeschwemmtes Straßenschild auf sehr ungestüme Art bearbeitete. Mir kam das seltsam bekannt vor. Sieh einer an. Unsere beiden nordostdeutschen Kumpels sind eingetroffen. Hätte ich nicht gedacht. Sie fanden´s lustig mit uns und so sind sie einfach hierher gekommen. Kein Plan ist manchmal auch ein guter solcher. Nun wollte ich aber wissen, was er mit dem Schild anfangen wollte. »Muscheln braten« war seine Antwort. Klar warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. »Ne mal ernst, was willst du damit machen?« fragte ich erneut. Er bestätigte sein Vorhaben. Er brauche noch etwas Feuerholz. Kein Baum weit und breit. Da stand etwas abgestorbenes Astloses. Der Kerl, sagte ich schon, dass sein Wuchs einem Neandertaler glich, nahm den Baum im vorbeigehen in seine Achselhöhle und zuckte einmal kurz. Schon war das Teil unterwegs. Ich hätte gezweifelt es alleine über den Strand ziehen zu können, geschweige es zu tragen oder auszureißen. Ich war damals noch nicht bereit für Frutti die Mare und es war mir auch sehr fremd. So sah ich seinem Treiben verständnislos zu.
Auf dem abendlichen Weg zum Hotel hör ich plötzlich meinen Namen über den Zeltplatz rufend. Staunend drehe ich mich um. Unsere ebersbacher Mädels sind auch hier. Langsam wird´s gemütlich. Wir ziehen von nun aus gemeinsam durch die Gegend.


Der Überlandbus nimmt nur Passagiere mit, wenn er genug Sitzplätze hat. ☛ GENUG ☚. Schon allein dieses Wort als Bedingung in einem sozialistischen Land sagt dir, dass es nie was wird. Also vergessen wir das.
Eine Woche waren wir nun hier. Doch plötzlich war alles anders. Nur noch ein Kiosk war geöffnet. Die Promenade war noch leerer als sonst. Ende der Saison, wurde uns verkündet. Was soll´s. Wir hatten unseren festen Trott. Wir gingen wie jeden Tag zu unserer Pommes Bude. Die Tür war verschlossen. Erschüttert in den Grundfesten standen wir vor der Tür. Der Besitzer schaute durch die Tür und öffnete als gleich freudig. Zum Ende der Saison feiert die ganze Familie noch ein letztes Mal. Da wir ja quasi dazu gehören sind wir eingeladen. Feiern können die auf jeden Fall. Auch wenn sie grad so durchs Leben kommen mit ihren Verdiensten, waren sie fast eingeschnappt als wir uns irgendwie an dem Fest beteiligen wollten.
Ein Gutes hatte das Saisonende auch. Der Bus war nicht mehr so voll. Tatsächlich konnten wir Plätze für eine Fahrt nach Achtopol, der Endstation und gleichzeitig auch dem Ende des sozialistischem Territoriums ergattern. An die Stadt erinnere ich mich nicht sehr ausgeprägt.


Zwischen Kiten und Burgas liegt ein Ressort, welches den westlichen Bundesbürgern offerierte, Teil der sozialistischen Willkommensstruktur zu sein und wertzuschätzen, kapitalistischer Währung erleichtert zu werden. Nun kamen wir auf die Idee mal zu schauen was geht. Ich hatte ja noch ein paar Franken. Wir orderten einen Fahrer. Vor Ort, deutsch redend rein in das Ressort. Ok das war auf jeden Fall in einem ganz anderen Stiel aufgezogen. Wir haben uns ein wenig rumgetrieben kamen dann aber zu dem Schuss, den Ort baldigst wieder zu verlassen. Es hing eine komische Arroganz in der Luft, die ich einfach unangenehm empfand. Heute weiß ich, dass oft minderverdienende Ungebildete in billigen Ländern auskehren, etwas Besonderes zu sein. Das ist definitiv nicht mein Ding und ich möchte auf keinen Fall Teil davon sein.


So gingen die Tage dahin. Aufregendes passierte nicht mehr. Zurück zum Flughafen nahmen wir den Bus. In Burgas hatten wir noch einen halben Tag Zeit. Anzusehen brauchten wir nichts, da wir das Sortiment der Läden schon kannten. Ein wenig die Hauptstraße hoch und runter tingeln. Auf zum Flughafen!
Der Flieger, irgendeine sowjetische Antonnow, war höllisch eng. Ich wusste nicht wohin mit meinen Beinen. Im Endeffekt hockte ich mehr auf meinem Platz und hoffte so schnell wie möglich hier raus zu kommen. Neben mir heimkehrende Russen. Die hatten nichts Wichtiges zu tun, als sich Eine anzustecken. Die Luft im Flieger war nicht auszuhalten. Unüberlegt fragte ich nach einer Zigarette. Die Dinger musst du vor Gebrauch noch richtig falten. Kaum hatte ich den ersten Zug genommen war ich mehr oder weniger erledigt. Auf jeden Fall erträglicher als ohne rauchen. Zu gebrauchen war ich zu nichts mehr. Ein Glück das Raucherflüge Geschichte sind.

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