Französisch 🇫🇷

Irgendwie habe ich mich überreden lassen, Französisch zu lernen. Zum einen kam es daher, dass wir viel Zeit im Süden Frankreichs verbringen. Das ist in den Wetter-unerfreulichen Monaten durchaus ein großer Genuss. Dafür aber Französisch lernen zu müssen? Die Kommunikation leidet schon ein wenig, solltest du nicht in der Lage sein, Buchstaben der Landessprache in für deine Lippen ungewohnten Kombinationen über hiesige zu bringen. Ein durchaus kleiner, wenn auch nicht ganz unwichtiger Partikel in der Entscheidungsfindung ist der Umstand, dass ich noch etliche Tage Urlaub bräuchte und sich auf der Habenseite nur noch zwei befinden. So stellt sich nur noch eine Möglichkeit dar, welche beide Hürden nimmt. Intensivkurs im Bildungsurlaub. Diese Erkenntnis ließ mich tagelang nicht schlafen. Spontan hatte ich zugesagt. Kann ich noch zurück?  Nun bekomme ich auch noch das OK meines Arbeitgebers. Zehn Tage je 4 Stunden Kurs. Was für eine Malträtierung! Langsam beginne ich den Vorteil der kalten Tage in Berlin zu sehen. Man kommt ohne Französisch aus.

Meine Frau, die fließend Französisch spricht, begleitet mich zu der Sprachschule. Mir ist es so leichter für den Fall, dass irgendetwas zu besprechen sei. Denkst’e! Kaum im Vorraum wird sie wieder nach Hause geschickt. Ich steh da voller Ehrfurcht. Mir wird die Tür gewiesen, in welcher der Unterricht stattfinden wird. So weit, so gut. Es ging noch unvermischt auf der Körpersprachebene. Sie nimmt Platz und verweiset mich auf den Stuhl ihr gegenüber. Sehnsüchtig schaue ich in die zweite Reihe. Meine ursprüngliche Idee – ich schau mir das alles erst mal von Hinten an und seh´ was ich oder ob ich was, zu der Misere beitragen kann. Sie fängt an zu reden, so wie es die Mutter ihr beibrachte. Kein bekanntes Wort umspielt meine Ohren. Langsam manifestiert sich in mir die Erkenntnis. Ich bin allein. Perdu in Sprache und Ort. Ich bin immer dran! Niemand anderes. Angst, Frustration, Desillusionierung… Was gerade in meinem Kopf so vorgeht, mag ich gar nicht beschreiben. Am liebsten würde ich aufstehen und gehen. Der Gesichtsverlust wäre zu hoch. So füge ich mich der Pein.

Sie stellt sich vor. So weit, so gut. Dank Stefan Raabs Sendung, wo ich diesen Satz aufschnappte (Je m’appelle Klaus.), weiß ich wenigstens, wie man seinen Namen preisgibt. Allein den Namen gilt es zu ersetzten. Da Klaus sich nicht so wahnsinnig französisch anhört, ersetzte ich diesen Teil des Satzes mit Joe und lag gar nicht so falsch. Voila, die ersten 12 Sekunden mit Anstand überstanden. Noch 16188 und ich bin durch. Nun geht es weiter. Sie erklärt – alles in Französisch, nur noch mal zum Mitschreiben – wie die verschiedenen Artikel vor die Wörter gehören. Ich schaue in mein Buch. Wo um alles in der Welt ist sie gerade auf der Seite. Keine Gruppe der dort aneinander gereihten Buchstaben entspricht im Entferntesten dem, was sie sagte. Geschweige ich wüsste, worum es geht. An der Tafel buchstabiert sie ihre grade geschriebenen Wörter. Da ist kein ü weder ein ä noch ein o geschrieben. Da steht was mit AUX DU… Das wird echt lustig. [Wer die Gänsefüßchen nicht gesehen, sollte den Satz noch einmal lesen.] So hangeln wir uns durch die französische Grammatik, ohne dass ich auch nur ein Wort verstehe. Mehr oder weniger ist es auch nicht falsch zu sagen, dass ich hangele und versuche nicht abzustürzen in ihrem wortgewaltgen Gerüst.

Ich muss Strom der auf mich prasselnden französischen Wörter unbedingt abmildern. Fels in der Brandung hin oder her. Steter Tropfen höhlt den Stein. Und von Tröpfchen kann hier keine Rede sein. Was kann ich ins Gefüge werfen, um den Strom zu bremsen. Eine Frage! Super Idee. Wie nun stelle ich eine Frage über französische Grammatik, ohne irgendwas darüber zu wissen. Du fragst einfach, ob es auch so ist, wenn ein weiblicher Partner mit einem fremden Mann zusammentrifft und du nicht dieses männliche Zeugs suchst, sondern mehrere weibliche Dinge, die aber noch in Bezug auf etwas Anderes eine Eigenschaft haben. Tja was soll ich sagen. Drei Sekunden Pause!!!! Folgend der Strom der Wörter ungebremst auf mich einprasselnd in einer gefüllten Sicherheit, des nicht weggespült werden zu können. Mir werden die ganzen Regeln erklärt und natürlich hat jede Regel in Frankreich eine Ausnahme. Was sage ich? Eine, nein eine Hülle von Ausnahmen. Egal, wir hängen beim –du- aus –de le- unverrücklich fest. Was für eine Wohltat.

So ging es weiter, Stund um Stund. Plötzlich schaut sie mich an und fragt nach einer Püs. Von mir aus auch zwei Püs, oder drei. Was immer sie von mir will. Sie steht auf und geht in die Teeküche. Ah – a Püs. Was für eine herrliche Püs. Einer der schönsten Püses die ich je hatte. Der Schwall der Wörter ebbet ab und langsam löst sich deren Stau an meines Ohres engster Stell. Ruhe. Nichts als das leise Surren der Drosseln der über mir hängende Neonlampen im alt-schuhlklassenzimerischem Stiel. Das leise Blubbern des zu kochen beginnenden Wassers im Teekessel. Draußen ein vorbeidonnerndes Moped. Alles vertraute Geräusche. Eine wahnsinnige Gelassenheit breite sich in mir aus. Ich sitze da und gebe mich dem hin. Langsam höre ich im Hintergrund wieder Fetzen dieser so fremdländischen Mundart. Ich kalkuliere: 1/20 geschafft.

Eine der ersten Lektionen ist die Verben zu konjugieren. Klar erscheint mir das nicht vollkommen Sinn frei. Nun hat aber die französische Sprache einige Besonderheiten. Die Berliner lassen ja mal gerne aus Bequemlichkeit ein paar Buchstaben weg. Da kommen dann Wörter wie hast´e, willst´e, kannst´e raus. Unsere französischen Nachbarn haben diese nun noch etwas verfeinert. Tatsächlich dünkt mich, sie haben es auf die Spitze getrieben. » Ich spreche, du sprichst, er spricht, sie sprechen « wird mit unterschiedlichsten Endungen versehen. Gesprochen wird es aber immer gleich. Also » ich sprech, du sprech, er sprech, sie sprech. « Warum wird es denn überhaupt unterschiedlich geschrieben. Die Erklärung, dass es somit im Geschriebenen klar sei, kann ich nicht akzeptieren. Gesprochen ist es auch verständlich. Für sie – nicht für mich. Wohlgemerkt. Was könnte man an Toner und Papier sparen, druckte man die lautlosen Buchstaben nicht.

So geht es nun weiter, Tag um Tag. Die Nächte sind für mich nicht erholsam, weil ich an deren Ende schon wieder den Anfang von meinem vermutlichen Ende sehe. Täglich wird kalkuliert, wie viel ich hinter mir habe.

So richtig aktiv anwenden kann ich mein neu erlerntes Wissen nicht. Ich weiß nicht mal, ob man es Wissen nennen sollte. Wissen setzt ja voraus, das man etwas weiß. Ich hingegen suche die in meinem Kopf verbliebenen französischen Wörter ohne Erfolg. Sie sind da irgendwo. Zieh ich eine Schublade von einem deutschen Wort auf, liegt da mit Nichten die französische Entsprechung drin. Nix. Sieht aus wie ein schwarzes Loch. Wahllos ziehe ich andere Schubladen auf, um irgendwas zu finden.  Ich komme mir vor wie am Ku´damm beim Hütchen spielen. Diese Erkenntnis lässt mich aufgeben. Manchmal laufe ich resigniert die Straße entlang und plötzlich springt das vormals gesuchte Wort kurz vorbei. Jetzt – da so vollkommen unbenutzbar. Es scheint mir höhnisch grinsend zu sagen: „Eins, Zwei, Drei, Vier, Eckstein, alles muss versteckt sein… Such mich doch!“ Ich pack das Wort am Zipfel und halt es fest. Es immer wiederholend ziehe ich durch die engen Gassen der Stadt. Wäge mich in Sicherheit, es nicht mehr zu verlieren. Kaum erweckt etwas meine Aufmerksamkeit, fasse ich das Wort nicht mehr so fest und es entwischt. Siegesgewiss geh ich in meinen Hirnwindungen auf die Suche. So weit weg kann es ja nicht sein. Hier nichts – da Nichts. Schei.. Was soll´s.

Interessanterweise erschließt sich mir die Bedeutung einiger auf französische Art aneinander gereihten Laute in der Weise, dass ich im Unterbewusstsein dieses leichte Gefühl habe zu erkennen, was von mir gewünscht werden könnte. Auch schon was! Auch das Zahlensystem erschließt sich meinen Ohren. Immerhin ist es so aufgebaut, dass du ständig rechnen musst. Ich meine hier nicht beim Bezahlen. Nur beim Hören und Sagen der Zahlen. Wer in aller Welt sagt denn viermal Zwanzig Zwölf für Zweiundneunzig?

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